„Physik ist dooooof“

Über das Elend der Motivation im Unterricht oder: Schulbücher könnten auch ganz anders sein

„Physik ist doof. Wann kann ich das abwählen?“ So denken viele SchülerInnen nach ihren ersten Erfahrungen mit dem bremer Physikunterricht. Neugier, die vor dem Eingriff der Schule vorhanden gewesen sein mag, schlägt um in Abwehr. Zu dieser Wende trägt eine schlichte Ersterfahrung bei: „Das verstehe ich sowieso nie.“

Wie organisiert Schule solche für die Motivation tödlichen Erfahrungen? Die Bremer Lehrpläne sind lange nicht überarbeitet worden. „Zu viele Einzelphänomene“ stehen da drin, zu viel aus der Wissenschaft abgeleitete Systematik, sagt der zuständige Mann für bildungstheoretische Grundsatzfragen am „Landesinstitut für Schule“ (LIS), Thomas Bethge. Als ob es in der Schule darum ginge, die 16-Jährigen Jahrgangsweise auf das Physikstudium vorzubereiten. Vor allem bei Einführung des Kurssystems und der Leistungskurse sind Weichen falsch gestellt worden: Die Anforderungen sollten hochgeschraubt werden, „Weg von der Naturlehre, hin zur mathematischen Naturwissenschaft“ war der Trend. „Aber wer in der Schule zu schnell mathematisiert, zerstört das Interesse an den Phänomenen“. weiß der frühere Physiklehrer.

Wenn in den Schulen alte Lehrbücher ausgegeben werden, wird diese Tendenz verstärkt. „Lehrbücher sollten den Schülern eine Möglichkeit geben, etwas nachzulesen, was sie im Unterrichtet nicht vollkommen verstanden haben“, sagt Bethge. Alte Lehrbücher wie etwa der „Gross/Berhag“ (Klett-Verlag) beschreiben vielfach Versuchsanordnungen und werten Messergebnisse aus – wer das in der Schule nicht verstanden hat, versteht das Buch auch nicht. Merke: „Der Flächeninhalt zwischen der Zeitachse und der Geschwindigkeitskurve ist ein Maßstab für den zurückgelegten Weg.“ Wer soll sich sowas merken? Und warum?

Der Klett-Verlag hat längst ein moderneres Buch herausgegeben – in den Schulbüchereien stehen noch die Klassensätze des alten und werden auch fleißig verwendet. Bildungstheoretiker sind sich darüber einig, dass guter Unterricht anders verfahren sollte – fraglich, was in den Schulen davon ankommt.

„Im Zentrum sollten nicht bequem abprüfbare Formeln stehen, guter Unterricht geht von Phänomenen aus“, sagt Bethge. Der Schroedel-Verlag bietet das hervorragende Lehrbuch „Spectrum“ an. Den radikalsten Ansatz hat der Münchener Oldenbourg-Verlag mit seinem „Galileo“ gewählt. Sehr viele „Phänomene“ werden da ausgebreitet, die Mathematik ist in den Hintergrund gedrängt. Auf der Fachtagung der Didaktiker der Naturwissenschaften in Bremen wurde das Buch gelobt, unter Lehrern ist es nicht bekannt. „Galileo – das anschauliche Physikbuch“ ist in Bremen „nicht zugelassen“.

Das Science-Center Universum hat in Zusammenarbeit mit dem LIS nun einen Versuch gestartet, die pädagogischen Defizite des naturwissenschaftlichen Unterrichtes auszubügeln. „Grips Trips“ heißen die „Reisen durchs Universum“, Thema ist immer ein Phänomen. „Welt des Wassers“ ist einer der Titel, „Sehen“ ein anderer. Oder „Mythen und Evolution“. Da viele Schulklassen das Universum besuchen, um die durch den Schulunterricht zerstörte Motivation etwas aufzubessern, bietet das Science Center Handreichungen zur Verbindung von Unterricht und den Ausstellungs-Stücken – unter www.usc-bremen.de kostenlos für alle Lehrer zugänglich. Aber einzelne Besuche im Universum können nur „Sonntagserlebnisse“ sein.

Bei den Pisa-Tests haben Schüler im deutschen Schulsystem und insbesondere in Bremen schlecht abgeschnitten. Da wurde nicht nach Formeln gefragt, zwei Wochen nachdem die Schüler sie eingeprägt oder eingepaukt bekommen haben, sondern nach der Auffassungsgabe von Problemzusammenhängen. Darauf hatte der Unterricht nicht so gut vorbereitet. K.W.