piwik no script img

Unterwassersicht

9. Preis des taz-Schreibwettbewerbs „Eros auf Reisen“

von WILLI HOFMANN

Ich machte Ferien in einem ziemlich kleinen Ort in Bayern. Ich musste ausspannen, mich so richtig erholen. Nicht nur die Berge hatten es mir angetan. Es gab auch ein Freibad. Keine zwei Minuten brauchte ich bis dorthin.

Zum Schwimmen muss ich mich überwinden, denn ich bin eine Frierhorzel. Ich bleibe immer nur kurz im Wasser. Eine viertel Stunde bis zwanzig Minuten. Aber es gibt etwas, was mich ins Wasser zieht. Nicht Abhärtung. Nicht Fitness. Nicht Ausdauer.

In Wirklichkeit ziehen mich ins Wasser: die Frauen. Ich bin ein Voyeur.

Große Ansprüche habe ich nicht. Es ist nicht viel, was ich sehen will. Nur ein wenig Brust. Und die verhüllt im Badeanzug. Am besten im Oberteil eines Bikinis.

Brüste beschäftigen mich seit meinen Knabenjahren. Sie üben eine unwiderstehliche Faszination aus. Früher, lange vor der Zeit, als nackte Busen in Zeitschriften abgebildet waren, sammelte ich Bilder von Bikinimädchen.

Interessanter aber waren echte Busen. Am besten zu beobachten im Schwimmbad. Manchmal, wenn eine Frau günstig lag, konnte ich tief in den Ausschnitt hineinspähen. Am besten waren die Anblicke, die selten, selten zu erhaschen waren, wenn sich eine selbstbewusst und ein wenig lässig unter einem Handtuch umzog.

Und im Wasser war die Pracht zu sehen. Zwar, man kann die Äpfelchen nur unscharf erkennen. Umso besser, je näher man vorbeischwimmt. Ausgeglichen wird die Unschärfe durch das Hängen. Die Brust hängt nach unten, wird vom Wasser umflossen, bewegt sich in den Wellen, wird vom sachten Auftrieb wunderbar modelliert. Hier selbst zum Wasser werden und die Weichheit formen!

Irre sind Taucherbrillen. Da sieht man ALLES! Doch was denkt eine Frau, wenn ich ihr entgegenschwimme, immer näher komme und meinen Kopf mit der Taucherbrille wie gebannt auf immer den gleichen Punkt richte? Was denkt sie wohl? Schwein. Oberschwein! Sie durchschaut mich. Ganz klar gebe ich meine Gier zu erkennen mit Taucherbrille. Und für die Gier schäme ich mich. Wenn sie erkannt wird.

Auch Chlorbrillen sind keine Hilfe. Sie fallen nicht so auf wie dicke Taucherbrillen. Doch mein Starren in Verbindung mit diesen Brillchen muss mich verraten. Das kann ich nicht ertragen.

Doch hier in Bayern, in diesem Freibad, machte ich eine Entdeckung. Irgendetwas juckte beim Tauchen in den Augen. Ich kniff sie zusammen – und siehe, ich sah plötzlich scharf! Das muss, so sagte ich mir später, irgendetwas mit Tiefenschärfe zu tun haben, so wie beim Fotoapparat.

Und nun begann für mich eine wunderbare Zeit: Traumhafte Bilder eröffneten sich mir. Wogende Berge weicher Anmut, in aller Deutlichkeit. Verführerisch. Die Begierde weckend, hinzupacken. Aber nein, das nicht. Mir reicht es zu sehen, zu staunen, zu schwelgen. Form und Alter sind mir gleichgültig. Kleine reizen, große strotzen. Junge locken durch die Unerfahrenheit, alte durch Erfahrung und Sicherheit.

Und ich entdeckte die Hintern! Nicht nur das Schwimmen, den Lustgeschöpfen entgegen, begeisterte mich. Der Anblick ist aufregend, aber kurz. Hinterherschwimmen zeigt die Schenkel. Die prallen Pobacken in Bewegung. Das Verborgenste, das sich öffnet und schließt, wenn auch mit Stoff überspannt. Gut so, erregt die Fantasie.

Ich badete oft. Ich hielt es lange aus im Wasser. Wurde abgehärtet. Leib ertüchtigt. Fit. Ausdauernd. Ich verriet mich nicht. Keine Taucherbrille. Keine Chlorbrille. Keinen Argwohn konnte jemand schöpfen, nur weil ich lange unter Wasser schwamm. Den Kopf ein wenig zur Seite gewandt, wenn eine Schönheit neben mir war. Die Stammgäste kannten mich, hielten mich für einen guten Schwimmer und Taucher.

Doch eines Tages war alles vorbei. Einer Frau schwamm ich entgegen. Eine, die ich nicht kannte. Eine, deren Formen ich noch nicht in Augenschein genommen hatte. In dem Moment, da ich nahe genug war, tauchte ich ab. Schnell kamen wir uns näher. Ihr Körper schälte sich aus dem Türkis des Chlorwassers heraus.

Ich sah ihr ins Gesicht. Ich sah es ganz genau. Sie tauchte mir entgegen: blieb lange unter Wasser. Sie hielt den Kopf leicht zur Seite geneigt. Die Augen waren zu einem schmalen Schlitz zusammengekniffen.

Sie fixierte einen einzigen Punkt. An mir!

Das kann ich nicht ertragen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen