: Die stille Macht vom Rhein
Clements Karriere vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zum Berliner „Superminister“ – und warum das keine Erfolgsgeschichte ist
aus Köln PASCAL BEUCKER
Halb zog es ihn, halb sank er hin. Auch wenn sich Wolfgang Clement noch bis gestern Nachmittag unentschlossen gab, war er seine Entscheidung wohl bereits zuvor gefallen. Als Pokerspieler wäre Clement längst ruiniert. In seinem Gesicht spiegeln sich so markant seine jeweiligen Gefühle und Stimmungen, dass jeder Laienpsychologe blitzschnell seine momentane Laune ablesen kann. Und die war am Wochenende bereits einfach zu gut für eine Absage an den Kanzler.
Das Angebot Gerhard Schröders, als „Superminister“ nach Berlin zu kommen, hatte Clement auch gar nicht ablehnen können. Denn immerhin verschafft es dem gläubigen Katholiken, der unter Freunden die Zusammenarbeit mit den Grünen auch schon mal als „eine Strafe Gottes“ bezeichnete, einen hervorragenden Abgang aus Düsseldorf. Damit hatte er nicht mehr rechnen dürfen. Schließlich war das Ende der kurzen Clement-Ära als Ministerpräsident bereits absehbar gewesen. Mit Glück hätte der dann fast 65-Jährige bei der kommenden Landtagswahl 2005 noch einmal antreten dürfen. Dann wäre es nur noch um die Modalitäten der Stabübergabe an SPD-Landeschef Harald Schartau gegangen, seinen designierten Nachfolger. Wie quälend so etwas für einen Amtsinhaber im Rentenalter werden kann, weiß Clement nur all zu gut aus seiner Zeit als Kronprinz von Johannes Rau, den er 1998 nicht ohne gehörigen Druck und letztlich mit tatkräftiger Unterstützung Schröders zur Amtsaufgabe brachte. Das Verhältnis der einstigen Vertrauten Clement und Rau gilt seitdem als nicht besonders gut.
So jedoch kann Clement abtreten, ohne dass sein Image ernsthaften Schaden erlitten hat. Im Gegenteil, der selbst ernannte „Vorstandsvorsitzende der Nordrhein-Westfalen-AG“ hat bis heute einen hervorragenden Ruf als „Macher“ und „Modernisierer“, besonders in Wirtschaftskreisen. Vielleicht liegt das jedoch auch daran, dass er nicht nur ein Faible für industrielle Großprojekte und neue Technologien hat, sondern auch stets gern als Wirtschaftslobbyist agiert. Beispiele dafür waren sein Nein zur zweiten Stufe der Ökosteuer, seine Blockade gegen das Dosenpfand, sein vehementes Eintreten für die Forschung mit embryonalen Stammzellen sowie sein Vorstoß zur Einführung von Studiengebühren.
Trotzdem ist Clements Ruf, der ihn jetzt auch nach Berlin befördert, erstaunlich gut für jemanden, der seit 1989 in der Landesregierung nur wenig tatsächlich Vorzeigbares zustande gebracht hat. Angefangen von dem mit hohem Anspruch gestarteten Privatsender Vox, als dessen Ziehvater Clement gilt und der heute nur noch als Abspulstation für Billigserien dient, über das Medienprojekt „High Definition Oberhausen“, mit dem sich wegen der vermuteten Veruntreuung von Steuergeldern ab 1998 zwei Untersuchungsausschüsse des Landtags befassen mussten – bis hin zu Clements neuestem Räppelchen: dem Metrorapid. Immer wieder bewies und beweist der gelernte Jurist, der seine Karriere Ende der 60er-Jahre als politischer Redakteur der SPD-nahen Westfälischen Rundschau begann, ein Händchen für Flops.
Clements große Schwäche ist – neben Ungeduld – sein Hang zum vermeintlich „großen Wurf“. Erst einmal von einer Idee überzeugt, wird der passionierte Jogger zum unaufhaltsamen Sprinter. Beratungsresistent und ohne Rücksicht auf den richtigen Zeitpunkt, geschweige denn auf die eigene Partei oder gar den kleineren Koalitionspartner prescht er dann vor. So erreicht er zwar wenig, aber das mit vollem Einsatz. Und er ist entsprechend anfällig für Fehlentscheidungen. So beispielsweise, als er als eine seiner ersten Amtshandlungen als frisch gekürter Landesvater Mitte 1998 in einer Kabinettsreform durchführte, bei der er alle möglichen Ministerien zu „Superministerien“ zusammenführte – auch das Innen- mit dem Justizministerium. Der Verstoß gegen die Gewaltenteilung wurde ein halbes Jahr später gerichtlich gestoppt. Niederlagen vor dem Landesverfassungsgericht sowie eine unglückliche Hand bei der Besetzung einiger Kabinettsposten und permanente Querelen in der Zusammenarbeit mit dem grünen Koalitionspartner – eine Erfolgsgeschichte ist das nicht.
Die Quittung erhielt der zu cholerischen Ausfällen neigende Politiker an der Wahlurne: Bei seiner ersten Landtagswahl als Ministerpräsident im Mai 2000 kam die SPD ausgerechnet in ihrem Stammland nur noch auf 42,8 Prozent der Stimmen. Ihr schlechtestes Ergebnis seit 1958. Auch bei der Bundestagswahl schnitt die SPD in NRW deutlich schlechter ab als noch vor vier Jahren. So sind nicht wenige Genossen an Rhein und Ruhr nicht gerade unglücklich über den Wechsel Clements nach Berlin. Die Grünen geben sich staatsmännisch und wünschen ihm „viel Glück und Erfolg für seine neue Aufgabe“. Die Zeit für einen Neuanfang ist da.
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