piwik no script img

Im Fahrstuhl zum Wasserfall

Nachhaltiger Tourismus bei den Mixteken im Tal von Oaxaca. In sechzehn Gemeinden kann der Tourist am täglichen Leben teilnehmen. In Gemeinschaftsarbeit haben die Dörfer einfache Gasthäuser errichtet, Familien bieten Übernachtungen an

von OLIVER GERHARD

In Santiago Apoala kann jeder einmal Bürgermeister werden. Reich wird der Gemeindechef jedoch nicht, denn er arbeitet ohne Bezahlung – die Tätigkeit für das Dorf gilt als sozialer Dienst. Alle drei Jahre wählen die Indígenas vom Volk der Mixteken ihre Amtsträger neu – Richter, Polizisten und sogar einen Umweltbeauftragten. Keiner kann sich vor seinem Dienst an der Gemeinschaft drücken. Frauen sind allerdings von der Wahl ausgeschlossen. Dieses Regierungssystem geht auf alte indianische Traditionen zurück und kommt ganz ohne Parteien und Berufsbeamte aus.

Die Fahrt in das 2.000 Meter hoch gelegene Apoala im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca führt durch eine wüstenähnliche Landschaft. Die einst üppigen Wälder sind stark dezimiert worden. Die Menschen sind arm. Apoala wirkt dagegen wie eine grüne Oase. Im Schutz der umliegenden Berge erstrecken sich Weizenfelder und Pfirsichhaine. Ein Flüsschen fließt durch den Ort, gesäumt von mächtigen Bäumen. Unterhalb des Dorfes ergießt sich das Wasser in einem fünfzig Meter hohen Wasserfall in die Tiefe.

Margarito López, der Umweltbeauftragte der 400-Seelen-Gemeinde, hat für die Dauer dieses Amtes sein Fischgeschäft in Oaxaca verpachtet. Er widmet sich jetzt der Wiederaufforstung, Umwelterziehung und Verschönerung des Dorfes. Besonders gerne führt er fremde Besucher. Wir können kaum mit ihm Schritt halten, als er, ununterbrochen redend, mit uns durch die Berglandschaft stürmt, durch Höhlen krabbelt oder spontan fünf Meter einer senkrechten Wand hochklettert, um eine Felsmalerei zu interpretieren. Im Dorfmuseum ist ein prähispanisches Schriftstück, ein Kodex, zu bewundern, auf dem die Geschichte des Ortes aufgezeichnet ist. Apoala gilt als die Wiege des mixtekischen Volkes. Der Legende nach wuchs hier einst ein gewaltiger Baum, dessen Äste weite Teile des Tales überspannten. Wie Früchte fielen von ihm eines Tages die ersten Indígenas vom Stamm der Mixteken ab, die sich über die umliegenden Täler verteilten.

Abends treffen wir auch den Bürgermeister, der gerade mit der Dorfjugend Basketball spielt. Er erklärt uns das Prinzip des Tourismusprogrammes mit dem Namen „Yu’u“ (zapotekisch für „Haus“). Apoala ist eine von sechzehn Gemeinden rund um Oaxaca, in denen man als Tourist bei Indígenas wohnen und an ihrem täglichen Leben teilnehmen kann. In Gemeinschaftsarbeit haben die Dörfer einfache Gasthäuser errichtet oder bieten die Übernachtung bei Familien an. Das Programm soll den Menschen neue Einkommensmöglichkeiten bieten und gleichzeitig die Naturreichtümer der Sierra Madre vor der Zerstörung bewahren.

Bei ausländischen Touristen komme Yu’u gut an, erzählt der Bürgermeister. Viele Mexikaner würden dagegen noch Wünsche äußern: eine asphaltierte Straße, ein großer Parkplatz, ein Restaurant und ein Fahrstuhl zum Fuß des Wasserfalls. Abends sitzen wir auf der Dachterrasse des Gästehauses und sind froh, dass es all dies hier nicht gibt. Die Grillen zirpen, aus der Ferne dringt Gesang von der Dorfkirche herüber.

Etwas hektischer geht es in „Hierve el Agua“ zu, dem „Ort der kochenden Wasser“. Schwefelhaltiges Wasser sprudelt hier seit Jahrtausenden aus dem Boden, hat kleine Rinnen und Becken gebildet. Die Berge bei „Hierve el Agua“ sind wie mit Zuckerguss überzogen von den Kalkablagerungen. Durch die Landschaft ziehen sich schmale, in Stein gehauene Wasserkanäle, über die die Ureinwohner einst ihre Felder bewässerten. Die Gemeinde hat große Becken angelegt, in denen die Besucher vor der atemberaubenden Kulisse der Berglandschaft baden können.

Die erfolgreichste Gemeinde des Programms ist Benito Juarez Lachatao, 2.800 Meter hoch in der Sierra gelegen. Der Ort bietet dramatische Ausblicke auf das Tal von Oaxaca bis hin zum Pico de Orizaba, dem höchsten Berg Mexikos. Im Gebirge um Benito Juarez stehen noch unberührte Nadelwälder, in denen die Einwohner wertvolle Heilkräuter sammeln. Riesige Agaven wachsen an den lichteren Stellen des Waldes. Unter der Führung des Mountainbike-Chefs Juan tauchen wir mit den Rädern tief in die Wildnis ein. Die zahlreichen alten Forstwege aus Zeiten, in denen der Holzeinschlag noch erlaubt war, sind inzwischen zu Wander- und Radwegen umfunktioniert worden. Die Einnahmen aus dem Tourismus werden für die Gemeinschaft verwendet. In Benito Juarez wurden damit sechs Arbeitsplätze geschaffen und in die Infrastruktur investiert. Geplant ist sogar eine kleine Bank, die Minidarlehen zu günstigen Zinssätzen vergibt.

Zum Aufwärmen gegen die schneidende Kälte am Abend spielen die Männer des Ortes immer Basketball. Da es hier oft kalt ist, kann die Dorfmannschaft inzwischen schon fast mit Profimannschaften konkurrieren. Der Dorfplatz ist gleichzeitig auch Sportplatz, perfekt ausgestattet mit Flutlicht. Während wir schon im Bett liegen und das Feuer im Kamin unserer Hütte prasselt, hören wir noch lange das Aufschlagen des Balles und die lauten Rufe der Spieler.

Infos zum Yu’u-Programm: Die meisten Dörfer des Yu’u-Programmes liegen in atemberaubender Landschaft und bieten Aktivitäten wie Wandern, Mountainbike, Klettern oder Vogelbeobachtung. Unterkunft: Die Palette reicht von einfachen Zimmern bis zu Hütten für mehrere Personen. Die Übernachtung kostet überall rund 6 DM pro Person.Informationen: Mexikanisches Fremdenverkehrsamt, Taunusanlage 21, 60325 Frankfurt, Tel. (0 69) 25 34 13.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen