Der Druck im Kessel

Rot-Grün bastelt an einem Ausweg aus der Obrigheim-Zwickmühle: Kanzler will Wort halten, Grüne wollen Abschaltung in dieser Legislaturperiode. Verlängerung der Laufzeit um ein paar Jahre?

von BERNHARD PÖTTER

Bei der zwischen Grünen und SPD heftig umstrittenen Frage der verlängerten Laufzeit des AKW Obrigheim zeichnet sich eine Kompromisslösung ab. Der Meiler könnte länger als bis zum bisher vorgesehenen Abschaltedatum laufen, soll jedoch noch in der jetzt beginnenden Legislaturperiode abgeschaltet werden. Wenn das baldige Ende von Obrigheim besiegelt wäre, könne man darüber reden, dass das AKW „noch ein Jahr länger am Netz bleibt“, sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller der taz.

Auch bei den Grünen wird intern signalisiert, dass man nicht um Monate feilschen werde. Doch ein Ende von Obrigheim müsse noch in dieser Legislaturperiode kommen. „Der Druck im Kessel wegen dieser Sache ist groß“, heißt es aus der grünen Verhandlungskommission. Werde Obrigheim nicht abgeschaltet, könne die Bundesdelegiertenkonferenz der Partei am 18. und 19. Oktober den gesamten Koalitionsvertrag in Frage stellen. „Die SPD muss akzeptieren, dass es ähnlich wie bei ihnen und dem Transrapid bei uns in Obrigheim um eine Frage der Glaubwürdigkeit geht“, sagt ein anderer Verhandler.

In die Zwickmühle geraten ist die Koalition durch einen Antrag des Vorstandsvorsitzenden der Energie BadenWürttemberg EnBW, Gerhard Goll. Der hatte gleich nach der Wahl Bundeskanzler Schröder daran erinnert, dass dieser ihm vor der Unterzeichnung des Atomkonsenses zugesichert habe, er dürfe Obrigheim länger betreiben als ursprünglich geplant. Das älteste deutsche AKW soll eigentlich im Frühjahr 2003 vom Netz gehen, wenn sein Kontingent an Stromerzeugung erfüllt ist. Doch EnBW möchte den völlig abgeschriebenen und daher lukrativen Reaktor noch bis 2008 weiterfahren, indem es Kontingente vom AKW Neckarwestheim umleitet (die taz berichtete). Die Hoffnung dahinter: Die nächste Bundesregierung macht vielleicht den Atomausstieg rückgängig.

Wie weit Umweltminister Jürgen Trittin in diesen Deal eingeweiht war, ist unklar. Sein Sprecher erklärte, Trittin habe von Golls Ansinnen gewusst und auch erwartet, dass er einen solchen Antrag stellen werde. Doch er habe keine Zusagen darüber gemacht, mit welchem Ergebnis der Antrag geprüft werde; „wenn es Absprachen gegeben hat, dann ohne unser Wissen und ohne unsere Zustimmung“. Aus Regierungskreisen wiederum heißt es, Trittin sei informiert gewesen.

Das Umweltministerium (BMU) hat in einer ersten Antwort auf den EnBW-Antrag durchblicken lassen, dass und warum eine Verlängerung der Lebensdauer von Obrigheim nicht in Frage komme. Im Umweltministerium ist man, so ist zu erfahren, der Ansicht, es gebe ohnehin bereits eine „Lex Obrigheim“: Alle anderen AKWs müssen nach 32 Jahren Betrieb vom Netz, Obrigheim arbeitet schon seit 34 Jahren. Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim fehlt der Atomanlage die rechtliche Genehmigung, Obrigheim laufe nur aufgrund einer „Duldung“ des BMU. Schließlich sei Obrigheim anders als etwa Neckarwestheim nicht gegen Abstürze von Militärmaschinen gesichert. Von einem höheren Sicherheitsstandard durch die Übertragung der Strommengen könne also keine Rede sein. Das Umweltministerium ist federführend bei der Beantwortung des Antrags von EnBW, muss sich jedoch abstimmen mit Kanzleramt und Bundeswirtschaftsministerium.

AKWs als mögliches Ziel terroristischer Anschläge nach den Attacken vom 11. September in den USA, das Urteil des VGH Mannheim und jüngste Störfälle in Obrigheim sollten Schröder dazu bringen, die Lage neu zu bewerten und von seinem Wort abzurücken, argumentieren die Grünen. Auch Michael Müller meint, das Kanzleramt solle die Sicherheit in den Vordergrund stellen. Alle warten auf ein Gutachten der „Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit“ (GRS) zur Anfälligkeit der einzelnen AKW-Standorte für Anschläge. Die Studie soll bis Jahresende vorliegen.

Doch die Frage Obrigheim muss bis Mitte nächster Woche gelöst werden. Dann soll der Koalitionsvertrag unterzeichnet werden. Und einfach einen Rückzieher kann Bundeskanzler Schröder auch nicht machen, heißt es aus Regierungskreisen. Denn dann stehe er vor der Wirtschaft als jemand da, der im Zweifelsfall eine feste Zusage nicht einhalte.