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Auch PDS schimpft auf Rot-Rot

Die Regierungssozialisten aus der Hauptstadt sind die großen Verlierer des PDS-Parteitags in Gera. Die dort gefassten Beschlüsse sind mit der Senatspolitik schlicht unvereinbar. In Zukunft soll es kein „bedingungsloses Regieren“ mehr geben

aus Gera ROBIN ALEXANDER

Wären die Delegierten der Berliner PDS Fußballfans, hätten sie gestern im Zug auf der Rückfahrt von Gera nach Berlin die ganze Zeit gesungen: „Keiner mag uns, scheiß egal!“ Grund zur Depression hatten die Berliner Sozialisten auf dem „Schicksalsparteitag“ reichlich. Von den Genossen aus der Sächsischen Schweiz bis zu den „Teilnehmern mit beratender Stimme aus dem 17. in Gründung befindlichen Landesverband der PDS“ hatten Ost-Kreti und West-Pleti einhellig die bösen Regierungssozialisten aus der Hauptstadt kritisiert.

Wirklich verheerend für die Berliner: Die Vorsitzende selbst fuhr mit ihnen Schlitten. Gabi Zimmer nahm in ihrer zentralen Rede neben ihren Gegnern in der Parteiführung auch Rot-Rot auseinander. Unter tosendem Applaus entschied sie genau damit den Kampf mit ihren zögerlichen Gegnern zu ihren Gunsten. Zimmer rief in die begeisterte Kultur-und-Kongress-Halle zu Gera: „Uns sollte die Wirkung unserer Beteiligung an Regierungskoalitionen zu denken geben!“ Und: „Allerdings können die Leute doch wohl zu Recht erwarten, dass die PDS nicht in einen Wettbewerb um das bessere Sparen eintritt, sondern auch in schwierigen Situationen sozial gerecht handelt.“ Zimmer sprach von einem „Opportunismusproblem“ und warnte vor „bedingungsloser Regierungsbeteiligung“.

Das brachte die Berliner in Rage: Während sich Wirtschaftssenator Harald Wolf („Berlin wird als Folie für den innerparteilichen Machtkampf missbraucht“) analytisch blieb, platzte anderen der Kragen. „Ich bin noch nie in meinem Leben intellektuell so unterfordert worden wie hier durch Gabi Zimmer“, schimpfte die ehemalige Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Bärbel Grygier. Kultursenator Thomas Flierl beobachtete das Geschehen stoisch, aber leichenblass. Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner beklagte: „Ich hätte Solidarität gebraucht und habe Verdächtigungen und Misstrauen bekommen.“

Das Verhältnis der Berliner PDS zur Bundespartei ist nun völlig zerrüttet. Zimmer fühlte sich in den vergangenen Wochen – nicht ganz zu Unrecht – von den Berlinern und Exbundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch gemobbt. In Gera nahm sie grausam Rache. Dabei war schon vorher Funkstille zwischen dem Karl-Liebknecht-Haus und dem Roten Rathaus. Zimmer nahm trotz regelmäßiger Einladung nur ein einziges Mal auf der Konferenz der so genannten C-Länder teil, wo die Regierungssozialisten ihr Abstimmungsverhalten im Bundesrat koordinieren.

Die jetzt in Gera gefassten Beschlüsse sind mit der Senatspolitik schlicht unvereinbar – in Zimmers Leitantrag heißt es: „So ist es etwa für viele Menschen nicht nachvollziehbar, dass in Berlin Steuergelder in Milliardenhöhe an vermögende Zeichner von Immobilienfonds fließen, während die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst auf wohlerworbene Ansprüche verzichten sollen, während im Sozialbereich, bei kulturellen Einrichtungen und in der Infrastruktur gespart wird, ‚bis es quietscht‘. “ In einem Satz wird damit der Risikoabschirmung der Bankrisiken widersprochen, der Solidarpakt für falsch erklärt und mit dem Widerspruch zum Wowereit-Zitat der Koalitionspartner direkt angegriffen.

Von den 52 Delegierten aus Berlin votierten nur 15 für Zimmer, die in der Gesamtpartei fast 70 Prozent der Stimmen erhielt. Die von den Parteifreunden so geprügelten Genossen, die am Ende noch mit auf den Weg bekamen, sich mehr für den in Moabit inhaftierten letzten DDR-Staatschef Egon Krenz einzusetzen, bekamen dann doch noch überraschenden Trost. Der SPD-Vorsitzende Peter Strieder meldete sich aus dem Baltikum auf dem Funktelefon von Harald Wolf, um dem Koalitionspartner Trost zu spenden.

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