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Ein zweites Leben für Obrigheim

Grüne und SPD einigen sich auf Kompromiss zwischen Atomausstieg und Kanzlerwort: Das älteste deutsche AKW bekommt wieder eine Extrawurst gebraten und darf zwei Jahre länger am Netz bleiben

BERLIN taz ■ Auf der Homepage des Bundesumweltministeriums ist die grüne Welt noch in Ordnung. Unter der Überschrift „Die Zeit läuft ab!“ steht für das AKW Obrigheim die Uhr noch auf fünf vor zwölf: „Reststrommenge: 0,97 Terrawattstunden“, heißt es da. „Voraussichtliche Restlaufzeit ab heute: 77 Tage.“

Diese Zeitrechnung ist seit gestern Makulatur. Denn das mit 34 Jahren älteste Atomkraftwerk Deutschlands in Obrigheim wird noch gute 800 Tage am Netz bleiben und insgesamt noch knapp 6,5 Terrawattstunden Atomstrom liefern. Das sieht der Kompromiss vor, mit dem gestern Umweltminister Jürgen Trittin und Bundeskanzler Gerhard Schröder den Koalitionskrach um die Atomkraft entschärften. Obrigheim wird demnach nicht zum Jahresende abgeschaltet – aber es läuft auch nicht bis 2008, wie vom Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) beantragt und vom Kanzler insgeheim zugesagt.

„Wir haben den Antrag der EnBW pflichtgemäß geprüft“, betonte Trittin gestern Abend. Er werde unter der Auflage genehmigt, dass nur etwa ein Drittel der beantragten Strommenge übertragen werden kann, und zwar nicht aus dem neuesten deutschen AKW in Neckarwestheim II, sondern aus Philippsburg I. Dieses Kraftwerk gehe damit ein Jahr früher als vereinbart, nämlich 2011, vom Netz. „Durch diese Ermessensentscheidung wird es nicht eine Kilowattstunde mehr Atomstrom in Deutschland geben“, betonte der Minister. Von der Entscheidung seien EnBW, die Grünen in Baden-Württemberg und auch Greenpeace informiert worden, hieß es. Auch stelle die Genehmigung keinen Präzedenzfall dar.

Genau das aber befürchtet etwa die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Die Verlängerung für Obrigheim könnte den Startschuss für einen „Terrawatt-Basar“ gegeben haben. Theoretisch könnten die Stromkonzerne Reststrommengen so lange hin und her schieben, dass bis auf Obrigheim und das – aus Wirtschaftlichkeitsgründen vom Netz gehende – AKW Stade kein anderer Reaktor vor 2014 abgeschaltet werden müsste. Von einem Atomausstieg aber, so Greenpeace, könne dann keine Rede mehr sein.

Obrigheim zumindest „geht in dieser Wahlperiode vom Netz“, betonte Trittin. Und auch für die Grünen in Baden-Württemberg kommt das Ende in Obrigheim Anfang 2005 noch rechtzeitig vor den Landtagswahlen im Sommer 2006. Trittin war sich denn auch sicher, dass der Kompromiss die Gnade der Bundesdelegiertenkonferenz in Bremen am Wochenende finden werde. Schließlich hätten die Baden-Württemberger Fritz Kuhn und Rezzo Schlauch bei den Verhandlungen mitgewirkt. Das Thema Obrigheim wird nicht im Koalitionsvertrag auftauchen – rein technisch gibt es also auch für Grüne, die gegen den Kompromiss sind, keinen Grund, den Vertrag abzulehnen. Diese Aufnahme in den Vertrag hat der harte Antiatomflügel der Partei in einem Antrag für Bremen gefordert. „An Obrigheim wird sich erweisen, was der Atomausstieg wert ist – oder auch nicht“, heißt es in dem Papier. BERNHARD PÖTTER

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