: Die Fleischhygiene im Trichinentempel
Der alte Veterinärmedizin-Park ist ein verstecktes Kleinod im Schatten der Charité. Dicht überlagern sich mitten in der Stadt architektonische Zeugnisse aus mehreren Jahrhunderten. Eine Kommission der Humboldt-Universität debattiert die weitere Nutzung. Die Modernisierung wird zur Mammutaufgabe
von TILL BELOW
Es ist ein verwunschener, fast vergessener Park im Schatten der Charité. Seit Jahren ist das zehn Hektar große Areal, das mit alten Ahornbäumen bewachsen ist und von der Panke durchflossen wird, in eine Art Dornröschenschlaf verfallen. Hinter dem versteckt liegenden Eingang an der Hannoverschen Straße beginnt eine eigene Welt. Über zwanzig Institutsgebäude aus beinahe 300 Jahren Berliner Wissenschaftsgeschichte liegen teils ungenutzt auf dem Gelände.
Hier gibt es keinen Straßenlärm und abgesehen vom Schild einer Baufirma könnte man denken, die Zeit sei stehen geblieben. Grau ist das kleine Metalltor am Fußgängereingang, und grau sind auch die Häuserfassaden, in denen noch Einschusslöcher vom Krieg zu sehen sind. Die Häuser gegenüber dem Eingang stehen leer. Den Vorgarten haben sich Haselbüsche und Birkentriebe erobert, an der Wand zeugt ein realsozialistisches Pferderelief von vergangener Größe. Die Bauten sind heute ein architektonisches Durcheinander aus Baracken, Gebäuden im Bauhausstil und klassizistischen Tempeln.
Eigentlich beginnt die Baugeschichte des Areals in Russland. Von dort kam die Pestepidemie, die Berlin Anfang des 18. Jahrhunderts zu überrollen drohte. Der preußische König befahl daraufhin 1709 die Errichtung eines Pesthauses am Ostufer des Schönhauser Grabens, damals weit vor den Toren Berlins. Nachdem die Stadt von der Pest verschont blieb, wurde aus dem Haus ein Krankenhaus mit dem Namen Charité. Rund um das Hospital entstanden umfangreiche Gärten. Friedrich Wilhelm II. kaufte diese Anlagen, um dort 1788 die Königliche Tierarzneischule zu gründen.
Heute findet man hier Reste einer der ältesten Gartenanlagen Berlins, gestaltet unter anderem vom klassizistischen Landschaftsarchitekten Peter Joseph Lenné. Einige der ehemaligen Gartenflächen sind mittlerweile Parkplätzen gewichen. Noch immer hat sich das Gelände von der Flickschusterei zu Ostzeiten und selbst von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nicht erholt. Anders als im Wissenschaftsstandort Adlershof und am Hauptgebäude der Humboldt-Uni Unter den Linden ist hier im letzten Jahrzehnt wenig investiert worden.
Das gesamte denkmalgeschützte Areal nutzen seit der Wiedervereinigung Technische, Freie und Humboldt-Universität gemeinsam. Die Ostveterinärmediziner wurden damals mit ihren Kollegen von der Freien Universität fusioniert. Sie räumten einen Großteil der Gebäude und gingen nach Dahlem. Heute nutzen Biologen, Agrarwissenschaftler, Lebensmitteltechniker und einige verbliebene Tiermediziner die Institute in Mitte.
Tobias Leiber findet es schlimm, dass viele Gebäude auf dem Campus langsam verfallen. Der 29-jährige wissenschaftliche Mitarbeiter der Landwirtschaftlichen Fakultät beschäftigt sich hier mit einer institutionellen Analyse des Ökolandbaus. Von seinem Büro aus sieht er in den Park. Leiber wünscht sich mehr studentisches Leben, die Restauration solle aber behutsam vorgenommen werden. „Das Pferderelief muss auf jeden Fall erhalten bleiben.“ Ginge es nach ihm, sollten sogar ein paar Ruinen bleiben. „Die historischen Bezüge, auch die aus DDR-Zeiten, müssen sichtbar bleiben“, meint Leiber.
Aus der Gründungszeit im 18. Jahrhundert stammt noch das Anatomische Theater. Der frühklassizistische Kuppelbau wird im Volksmund Trichinentempel genannt – nach dem Erreger Trichinella spiralis, der als Parasit in Pferde- und Schweinefleisch vorkommt. Der kreisrunde Hörsaal erinnert an ein klassisches Amphitheater. In der Mitte befand sich ein versenkbarer Seziertisch. Der Bau entstand nach den Plänen von Carl Gotthard Langhans, dem Architekten des Brandenburger Tors. Heute sitzt in dem Gebäude das Institut für Fleischhygiene der FU.
Der andere große Repräsentationssaal, einst für die wilhelminischen Rossärzte gebaut, liegt im ehemaligen Hauptgebäude an der Luisenstraße. Später saßen in dem Gebäude das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und das Staatssekretariat für Kirchenfragen. Heute wird der repräsentative Festsaal für Tanzkurse vom Uni-Sport genutzt.
Wie das Gelände in Zukunft genutzt werden soll, debattiert derzeit eine Kommission der Humboldt-Universität. Für den Vorsitzenden dieser Standortkommission, Professor Jochen Brüning, ist es ein glücklicher Zufall, dass der Nordcampus als Ensemble von wissenschaftlichen Instituten bis heute erhalten blieb. „Die Grundstücke sind heftigst begehrt. Für den Trichinentempel bekommen wir regelmäßig Anfragen von Verbänden, die 40 Euro pro Quadratmeter Miete und mehr bieten. Wir wären aber verückt, wenn wir die Objekte weggeben“, meint Brüning. Die Gebäude seien für die universitäre Nutzung geschaffen, und man könne sie, auch architektonisch gesehen, nicht umnutzen.
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