: Neues Ästuar an der Unterelbe
Senat öffnet Leitdamm, sodass die Borghorster Elbwiesen wieder von der Flut überspült werden können. Lebensraum für Wasserfenchel, Wachtelkönig und Nordseeschnäpel. Umweltschützer sehen auf Hamburger Gebiet einmalige Chance
von GERNOT KNÖDLER
Die Unterelbe soll natürlicher werden. Hamburg und Schleswig-Holstein wollen Teile der benachbarten Naturschutzgebiete „Borghorster Elbwiesen“ und „Besenhorster Sandberge“ wieder für die Elbe öffnen. Damit vergrößert sich der Lebensraum, der vom tidebeeinflussten Steigen und Sinken des Süßwassers bestimmt wird – Verhältnisse, wie sie für die Unterelbe typisch waren, heute jedoch in Europa sehr selten sind. Drei Millionen Euro bezahlt die EU im Rahmen ihres „Life“-Programms für das Projekt, jeweils eine Million tragen die beiden Bundesländer.
Das Gebiet ragt vom östlichsten Zipfel Hamburgs nach Schleswig-Holstein hinein. Bis Ende der 60er Jahre konnte die Elbe bei Hochwasser die Wiesen und Auwälder überfluten. Dann errichteten Wasserbauer für den Umgehungskanal des Wehrs Geesthacht einen Leitdamm, der den Strom im Zaum hielt. Bauern nutzten das gesicherte Land; eine Straße, der Horster Damm, wurde gebaut, die Artenvielfalt sank. Mit dem Life-Projekt soll sie aufgepäppelt werden.
Die Umweltbehörde bereitet derzeit einen Planfeststellungsantrag vor, nach dem der Leitdamm auf 80 Metern Länge geöffnet werden soll. Auf der schleswig-holsteinischen Seite wollen die beamteten Umweltschützer ein Rohr durch den Leitdamm legen, sodass ein Priel zur Bresche im Deich gebaut werden kann. Der Horster Damm soll bleiben, aber mit großen Durchflusskammern versehen werden, durch welche die Tide in den östlichen Teil des Gebiets einschwingen kann.
„Hier ist die letzte Gelegenheit, an der Hamburger Unterelbe uneingeschränkten Tideeinfluss herzustellen“, sagte Projektleiterin Gabriele Meusel-Tirre von der Umweltbehörde. Mit 92 Hektar sei das Gebiet groß genug, um den typischen Querschnitt des Elbtals abzubilden: Er beginnt mit einer regelmäßig überfluteten Uferzone, wo Röhricht gedeiht und der überaus seltene Schierlings-Wasserfenchel (oenanthe conioides). Allein zehn Hektar soll sie künftig umfassen und Brutplätze für die Rohrweihe bieten.
Auf weiteren zehn Hektar soll sich ein Weichholz-Auwald bilden, was die Behörde durch das Pflanzen von Weiden beschleunigen will. Künftig sollen hier Eisvögel und Beutelmeisen eine Heimat finden. Die Teilfläche östlich des Horster Damms sollen die Bauern als Feuchtwiesen extensiv bewirtschaften. Unter den hohen Stauden wird sich der Wachtelkönig verstecken können. Weißstörche werden in den Gräben und Tümpeln Frösche und Molche zum Fressen finden. Weiter weg vom Strom folgen schließlich ein Hartholz-Auwald und die Dünen der Besenhorster Sandberge.
Der Bergedorfer Bezirksamtsleiter Christoph Krupp (SPD) wies darauf hin, dass die Bezirksversammlung das Projekt zwar grundsätzlich befürwortete, aber noch nicht endgültig zugestimmt habe. „Mir ist es sehr wichtig, dass wir die Vier- und Marschlande als Kulturlandschaft, in der Mensch und Natur zusammenarbeiten, entwickeln.“ Die Menschen dürften nicht von dem Gebiet ferngehalten werden.
Geesthacht beschert das Projekt erstmals einen richtigen Deich für sein Gewerbegebiet. „In vielen Fällen ist es so, dass Naturschutz und Hochwasserschutz wunderbar Arm in Arm zusammengehen“, konstatierte der schleswig-holsteinische Umweltminister Klaus Müller (Grüne). Das Gebiet diene nicht nur als Lebensraum für seltene Arten sondern auch als Rückhaltefläche gegen Hochwasser.
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