: Der türkische Berlusconi am Start
Cem Uzan mischt die Parteienlandschaft auf und will Ministerpräsident werden. Aber die Immunität als Abgeordneter tut‘s auch. Denn die Firma seines Clans, unter anderem in der Medienbranche tätig, hat in New York eine Klage am Hals
aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH
Der Mann ist der Traum jeder Schwiegermutter. Cem Uzan sieht gut aus, ist 42 Jahre jung und gehört außerdem zu den reichsten Erben des Landes. Der Uzan-Familie gehören in der Türkei nicht nur drei Fernsehsender und mit Star die größte Boulevardzeitung, der Clan gebietet auch über das zweitgrößte Handynetz des Landes und ist außerdem noch im Energiesektor tätig.
Doch Cem Uzan will mehr. Seit zwei Monaten tourt er durch die Türkei und tönt auf jeder Kundgebung: Nach der Wahl am 3. November werde ich Ministerpräsident. Mit Cem Uzan ist ein Phänomen auf der politischen Bühne der Türkei aufgetaucht, der sowohl an Berlusconi wie an Haider oder Pim Fortuyne erinnert.
Wie in anderen europäischen Ländern auch, hat der politische Newcomer das Politestablishment mittlerweile das Fürchten gelehrt. Während alle drei derzeitigen Regierungsparteien um den Wiedereinzug ins Parlament bangen müssen, gehört seine „Genc-Parti“, zu deutsch, die Jugendpartei, drei Wochen vor den Wahlen zu den wenigen Formationen, denen die Umfrageinstitute eine Chance einräumen, die Zehnprozenthürde für den Einzug ins Parlament zu überspringen.
Das Rezept von Cem Uzan ist Nationalismus pur und bedenkenloser Populismus. Er verspricht jedem Wähler ein Eigenheim, einen Job und einen Ausbildungsplatz für seine Kinder. Den Internationalen Währungsfonds will er gleich hinauswerfen, den Schuldendienst einstellen und auch auf die EU kann er gut verzichten.
Als Publikumsmagneten für seine Auftritte lässt er prominente Popstars einfliegen und damit seine Versprechungen glaubwürdiger klingen, verteilt die Uzan-Mannschaft im Vorgriff auf die kommenden Wohltaten schon einmal warme Mahlzeiten bei den Kundgebungen. So absurd es auf den ersten Blick erscheinen mag, ausgerechnet einem der reichsten Männer der Türkei gelingt es, die Ärmsten der Armen für seine politischen Interessen zu mobilisieren. Denn ähnlich wie Berlusconi geht es Cem Uzan ganz offensichtlich vor allem um seine eigenen Interessen.
Die Genc-Parti ist die jüngste Investition des Uzan-Clans. Die Partei hieß vor dem Auftauchen Uzans „Partei der nationalen Wiedergeburt“ und war eine der vielen türkischen Splittergruppen, die nie eine Chance gehabt hätte, politisch eine Rolle zu spielen. Ihr Kapital war, dass sie die formalen Voraussetzungen erfüllte, zu den Wahlen antreten zu dürfen. Uzan hat zunächst die Delegierten der Partei gekauft, dann den damaligen Vorsitzenden hinausgeworfen und sich anschließend selbst zum Vorsitzenden wählen lassen. Wenig später wurde die Partei in Genc-Parti umbenannt und ist nun eine reine One-Man-Show von Cem Uzan. Das war im Juli, und seitdem hat Uzan Millionen Dollar in seine Investition gepumt.
Dahinter steckt jedoch kaum politischer Idealismus, sondern knallharte Geschäftsinteressen. Der türkische Medienmarkt wird weitgehend durch die Dogan-Gruppe beherrscht. Neben Dogan sind die Uzans die einzigen, die sich noch behaupten konnten. Der Konkurrenzkampf wird mit harten Bandagen geführt. Da Dogan die weit besseren Kontakte zu den bisherigen politischen Schaltstellen hat, entschied Uzan sich dafür, selbst in die Politik zu gehen. Die dafür notwendigen Investitionen sollen dann durch zukünftige Staatsaufträge – die Uzans sind auch im Staudamm- und Kraftwerksbau tätig – wieder hereingeholt werden.
Dass Abgeordnete Immunität genießen und vor Strafverfolgung zunächst geschützt sind, ist ebenfalls ein guter Grund für das politische Engagement. Die Uzans haben ihr Handynetz Telsim in Zusammenarbeit mit Motorola und Nokia aufgebaut. Die beiden Firmen klagen nun in New York, weil die Uzan-Gruppe sie durch dubiose Geschäftspraktiken um 2,7 Milliarden Dollar betrogen haben soll. Am Mittwoch hat das Gericht in New York in einer Vorentscheidung die Uzan-Gruppe aufgefordert, 75 Prozent ihrer Telsim-Aktien als Sicherheit zu hinterlegen. Angesichts dieser Summen ist es denn doch nicht zu teuer, seine Wähler mit einer warmen Mahlzeit und einem Popkonzert zu kaufen.
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