ZUWANDERUNGSGESETZ: DIE UNION DEMONTIERT DEN BUNDESRAT: Unfreiwilliges Verdienst
Die Union lässt sich nicht unterkriegen. In ihrem verzweifelten Kampf gegen das rot-grüne Zuwanderungsgesetz hat sie den letzten noch möglichen Weg gewählt und vor dem Bundesverfassungsgericht eine Annullierung der Bundesratsentscheidung gefordert. Manche mögen das für eine übertriebene Aktion schlechter Verlierer halten, doch eigentlich ist die Union zu loben. Dass sie das Gesetz aus formalen Gründen kippen will, ist konsequent. Denn mit der künftigen Gestaltung der Einwanderung hat der Kampf der Union schon lange nichts mehr zu tun. Inhaltlich sind sich der Vater des Gesetzes, Innenminister Otto Schily, und die Union so nah wie siamesische Zwillinge, die man nur durch eine Notoperation trennen kann. Diese ist am 22. März mit dem absurden Abstimmungstheater im Bundesrat über die Bühne gegangen.
Als Schily seinen ersten Gesetzentwurf präsentierte, bot ihm die CSU vor lauter Begeisterung die Parteimitgliedschaft an. Was auch immer die Union später an Details noch auszusetzen fand, es wirkte albern. In Wirklichkeit hatten sich beide politischen Lager, auch die Grünen, längst auf die Beckstein-Doktrin geeinigt: Deutschland braucht Einwanderer, aber nur solche, die uns nützen. Die Union müsste sich freuen, aber sie klagt. Und bringt damit eine ganz andere Diskussion in Gang: die über den Föderalismus.
Ihre Argumentation vor Gericht weiter gedacht, fordert sie eine neue Machtverteilung im Bundesrat: Jede Stimme zählt. Wenn Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) berechtigt war, das „Ja“ seines großen Koalitionspartners SPD durch einen Zwischenruf zu blockieren, könnten sich künftig alle Mitglieder des Bundesrats zu Wort melden, denen das Votum ihres Landessprechers nicht gefällt. Der Bundesrat würde zu einem zweiten Parlament, in dem die Stimmen der Parteienvertreter zusammengezählt werden - und nicht die der Länder. Dazu wird es nicht kommen, weil das Grundgesetz eine einheitliche Stimmabgabe vorschreibt. Mit ihrer Klage hat sich die Union aber unfreiwillig ein Verdienst erworben: Nicht das Zuwanderungsgesetz wird jetzt in Frage gestellt, sondern der Bundesrat als Blockadeinstrument. Und das kann nicht schaden. LUKAS WALLRAFF
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen