: Von der Delle in die Rezession
Unter Rot-Grün regiert die Sparpolitik. Der Koalitionsvertrag enthält zwar industrie- und umweltpolitisch richtige Beschlüsse, schadet aber der konjunkturellen Erholung
Der zweite rot-grüne Koalitionsvertrag signalisiert der Wirtschaft kaum Positives. Die Haushaltsbeschlüsse weisen überwiegend in die falsche Richtung, denn sie schaden der konjunkturellen Erholung. In diesem Sinne beschieden die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im Herbstgutachten gerade, dass die Politik von SPD und Grünen das Land im kommenden Jahr etwa ein halbes Prozent Wachstum des Bruttoinlandproduktes kostet.
Der Koalitionsvertrag in seinen wirtschafts- und finanzpolitischen Teilen ist im Wesentlichen ein Sparpaket. Im Grunde rät der Staat der Wirtschaft: „Gib weniger Geld aus, gib es lieber mir.“ Ein fatales Zeichen zu einer Zeit, da die Weltökonomie in einer schweren Krise steckt.
Die Deckungslücke im Bundeshaushalt des Jahres 2003, die SPD und Grüne zu schließen hatten, betrug rund 14 Milliarden Euro. Etwa ein Drittel davon war das Resultat der schlechten Konjunktur – die Steuern, die Unternehmen und Privathaushalte zahlen, fallen geringer aus. Sinnvoll wäre es nun, wegen der reduzierten Leistungskraft den „automatischen Stabilisator“, nämlich die geringere Last bei den konjunkturabhängigen Ertragssteuern, wirken zu lassen, damit die Wirtschaftssubjekte wieder Kraft gewinnen.
Was aber tut Rot-Grün? Die Koalition streicht steuerliche Ausnahmen und Vergünstigungen in Höhe von 4,2 Milliarden Euro, um den Staatshaushalt ins Lot zu bringen. Unternehmen und Haushalte sollen mehr Geld zahlen, obwohl die Finanzämter gerade nach Berlin gemeldet haben, dass jene dazu nicht in der Lage sind. Das wird nicht gut gehen: Die Bundesregierung entzieht der Wirtschaft Nachfrage und könnte damit die Konjunkturdelle in den Winterquartalen bis zur Rezession verstärken.
Unter den beschlossenen Maßnahmen gibt es allerdings schädliche und weniger schädliche. Gefährlich ist zum Beispiel, im Jahr 2003 die Eigenheimzulage für den Bau von Häusern und Eigentumswohnungen um 210 Millionen Euro zu kürzen und im Jahr 2006 dann sogar um 2,3 Milliarden Euro. Diese Einschränkung führt direkt dazu, dass viele Leute auf den Bau ihres Hauses verzichten. Der ökologische Lenkungseffekt, mit dem die Grünen diese Subventionskürzung gelegentlich rechtfertigen – weniger Häuser auf die grüne Wiese, weniger Zersiedlung –, ist zwar lobenswert, hätte aber getrost noch ein Jahr warten können, bis die wirtschaftliche Erholung in Gang gekommen ist. Gefährlich ist auch, über 2 Milliarden Euro an Mehrwertsteuervorteilen unter anderem in der Landwirtschaft zu streichen. Das trifft eben nicht nur die konventionellen, sondern auch die biologisch arbeitenden Höfe und verteuert deren Produkte.
Weniger schädlich erscheinen im Vergleich dazu die Punkte, die die Kapitaleinkommen der Wohlhabenden betreffen. Lockerung des Bankgeheimnisses, schärfere Besteuerung von Zinseinkünften, langfristige Abschöpfung von Spekulationsgewinnen auf Aktien: Auch das entzieht potenziellen Konsumenten Kaufkraft – in diesem Fall, weniger wichtig, für Luxusgüter.
Auch die Mindestbesteuerung von Konzernen – vermutlich im einstelligen Prozentbereich – fällt im Vergleich zum Gewinn zunächst kaum ins Gewicht. Trotzdem muss sich die Regierung überlegen, wann sie die Schraube anzieht: Sie entzieht Unternehmen Mittel, die sonst investiert werden könnten.
Rot-Grün steckt in einem Zielkonflikt. Will man die Konjunktur stärken, um die Basis für die nächsten Jahre zu legen, oder will man den Haushalt sanieren und dem zu anderen Zeiten berechtigten Streben nach mehr steuerlicher Gerechtigkeit nachgeben? Die Koalitionäre haben sich für Konsolidierung und Gerechtigkeit entschieden und nennen ihre Einnahmeverbesserungen deshalb Abbau von Subventionen. Wer dagegen die konjunkturellen Wirkungen betrachtet, muss die Maßnahmen als partielle Steuererhöhungen bezeichnen, die das Wachstum zu einer Zeit hemmen, da es sowieso daniederliegt.
Rot-Grün müsste schlicht mehr Schulden aufnehmen, um Firmen und Privatleuten Investitionen zu ermöglichen. Die deutsche Politik sollte reif sein für einen modernen Neokeynesianismus. In Zahlen bedeutet das: Bundesfinanzminister Hans Eichel deckt die Defizite der Bundeshaushalte 2002 und 2003 mit zusätzlich 20 Milliarden Euro Krediten. Daneben erreicht die jährliche Neuverschuldung 2003 rund 30 Milliarden Euro.
Diese Politik ist aber nur unter zwei Voraussetzungen sinnvoll. Die Euroländer beschließen, das Ziel der ausgeglichenen Haushalte für 2006 zu revidieren. Begänne 2004 der Abbau des Defizits in den von Rot-Grün erwogenen 5-Milliarden-Schritten pro Jahr, wäre etwa 2009 die Null erreicht. Die hoffentlich besser laufende Konjunktur und die damit steigenden Steuereinnahmen müssen dazu den wesentlichen Beitrag leisten.
Zweitens sollte der Bund die neuen Kredite auch tatsächlich mittelfristig zurückzahlen. Der Abbau von Steuervergünstigungen könnte 2004 beginnen und würde die Rückzahlung der zusätzlichen Schulden zum Beispiel in Schritten von 4 Milliarden Euro jährlich ermöglichen und 2008 abschließen.
Eine treffsicherere Hand hat Rot-Grün freilich dort bewiesen, wo man der Wirtschaft anzeigen wollte, in welche Richtung sie sich industriepolitisch zu bewegen hat. Die Maßnahmen zur ökologischen Modernisierung sind kohärent und werden ihre positive Wirkung nicht verfehlen. Mit Fördermitteln und steuerlicher Umschichtung werden die modernen, regenerativen Energiebranchen unterstützt und der umweltfreundliche Schienenverkehr gegenüber Auto und Flugzeug bevorteilt.
Wenn dem Fernverkehr der Bahn auf Wunsch der Grünen der halbe anstatt des vollen Mehrwertsteuersatzes eingeräumt wird, ist das ein Zeichen an die Industrie, hier mehr zu investieren. Das dient nicht nur dem Baugewerbe und den Infrastrukturausrüstern, sondern auch den Bahnherstellern selbst. Deutschland ist für mehrere der weltgrößten Bahnkonzerne ein entscheidender Markt, der durch die rot-grüne Politik an Bedeutung gewinnt. Dieser Lenkungseffekt ist umso wichtiger, als es nur wenige moderne Branchen gibt, in denen die Marktführer aus Deutschland kommen. Zu dieser eindeutigen Richtungsgebung trägt bei, dass veraltete industriepolitische Projekte beendet werden. So erhält die Kernfusionsforschung künftig keine Fördermittel des Bundes mehr.
Nicht alle Entscheidungen sind jedoch so zukunftsorientiert: Energieintensive Unternehmen wie die Produzenten von Aluminium und Chemikalien dürfen weiter ungestraft die Luft verpesten, ohne angemessen zur Ökosteuer herangezogen zu werden. Und einen besonderen Fauxpas hat sich Rot-Grün bei der Erdgassteuer geleistet, die erheblich angehoben wird. Damit stellt man gerade den umweltfreundlichen Energieträger schlechter, der mittelfristig Öl und Kohle im Wärmemarkt ersetzen soll. Das hat mit Nachhaltigkeitspolitik und ökologischer Modernisierung nichts zu tun.
HANNES KOCH
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