: Innere Symbolik
Wachsende Kriminalität und geschlossene Heime: Unter dem Aktionismus in der Innen- und Justizpolitik leiden vor allem Drogensüchtige und kriminelle Jugendlichevon ELKE SPANNER
Schon als die ersten 100 Regierungstage um waren, war alles nicht mehr so gemeint. Niemals habe er das Wahlversprechen abgegeben, die Kriminalität in Hamburg innerhalb dieser Bewährungsfrist zu halbieren, behauptete Ronald Schill, als er einräumen musste, weit entfernt zu sein von diesem Ziel.
Dem Innensenator blieb auch nicht anderes übrig, als sich solch eine Ausflucht zu suchen. Denn die Kriminalität in Hamburg ist nicht zurückgegangen, sondern hat bei den besonders relevanten Gewaltdelikten sogar zugenommen. Bei der letzten Erhebung im Juli hatte es 5,5 Prozent mehr Fälle schwerer Körperverletzung gegeben als im Vorjahr und 8,7 Prozent mehr Sexualstraftaten. Vor allem für Frauen ist das Leben in Hamburg gefährlicher geworden.
Insgesamt war die Innen- und Justizpolitik im vergangenen Jahr durch viel Symbolik geprägt. Als Zeichen dafür, an der Elbe bayerische Zustände schaffen zu wollen, holte Schill Udo Nagel aus München als Polizeipräsidenten in die Stadt. Kurz darauf lud er bayerische PolizistInnen zu einem vierwöchigen Ausflug nach Hamburg ein. Und dann machte sich Schill gleich bei seinem ersten großen Auftritt auf der Bundesinnenministerkonferenz zum Gespött, als er die Forderung nach neuen Polizeiuniformen auf die Tagesordnung setzte. Das war auf der Sitzung, auf der die Folgen des 11. September besprochen werden sollten. Ob er keine anderen Probleme habe als Polizistenmode, wurde Schill dann dort gefragt. Offenbar nicht. Noch heute arbeiten Designer daran, Hamburgs Ordnungshüter neu einzukleiden.
Trotz der Aussicht auf ein neues Outfit hat er diese innerhalb weniger Wochen gegen sich aufgebracht. Hundertprozentig stünden die BeamtInnen hinter ihm, hatte Schill immer wieder behauptet. Im Juni dann demonstrierte die Hamburger Polizei gegen ihren Innensenator.
Schill hatte vor allem mit zwei Themen seine 19,4 Prozent errungen: Mit der Bekämpfung der Drogenszene und der Jugendkriminalität. Am Hauptbahnhof ist das Ergebnis seiner Politik heute tatsächlich zu sehen - und zu hören: Klassische Musik, wo sich vor einem Jahr noch Junkies trafen. Die offene Drogenszene wurde durch die massive Polizeipräsenz von dort verbannt. Der Einsatz von Brechmitteln gegen mutmaßliche Drogendealer ist an der Tagesordnung, obwohl dabei im Dezember ein 19-Jähriger ums Leben kam. Doch die Junkies wurden nur verdrängt. Nun häufen sich die Klagen von AnwohnerInnen St. Georgs, dass die Szene in Hauseingänge und die Wohnstraßen ausgewichen sei.
Die inzwischen zur Bekämpfung der Jugendkriminalität getroffenen Maßnahmen lesen sich eher wie ein Katalog zur Bekämpfung der delinquenten Jugendlichen selbst. Es wurde eine DNA-Kartei für sogenannte „Intensivtäter“ geschaffen - worunter auch Jungs und Mädchen fallen, die mit einer Sprühdose in der Hand erwischt worden sind. Und, wichtigste Maßnahme: Hamburg führt wieder geschlossene Heime für Jugendliche ein. Die waren in den 70er Jahren abgeschafft worden, weil die schlechten Erfolgsbilanzen zum Umdenken zwangen.
Der Rechtssenat hat dem Innen- und dem Justizressort zudem faktisch einen Themenkomplex zugeschlagen, für den offiziell Gesundheitssenator Peter Rehaag (Schill-Partei) verantwortlich ist: Die Drogenpolitik. Drogenhilfe wird in Hamburg nicht nach den Bedürfnissen der Süchtigen, sondern allein nach den Maßgaben der übrigen Bevölkerung und des Strafvollzuges geleistet. Um die empfundene Belästigung der Bevölkerung durch Junkies zu mindern, sollen diese nach den Plänen von Schill in St. Georg konzentriert werden. Das ehemalige “Wüstenrothaus“ soll nicht nur zum Hilfszentrum für die in St. Georg ansässigen Süchtigen umgebaut werden, sondern wahrscheinlich auch für die aus dem Schanzenviertel. Um die Junkies von dort zu vertreiben, soll dann die Fixerstube “Fixstern“ am Schulterblatt geschlossen werden.
Und auch hinter Mauern ist das Leben vor allem für Süchtige noch härter geworden. Methadon gibt es nur noch für die Dauer des Entzuges, sterile Spritzen gar nicht mehr. Was für die Betroffenen gesundheitsgefährdend ist, ist für den Senat Symbol konsequenter Politik. Justizsenator Kusch (CDU) bezeichnet diese Maßnahmen als „Zeichen, dass wir keine Drogen im Gefängnis dulden“.
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