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Ein „merkwürdig bewegter Aufruhr“

Van Goghs strahlende Felder-Bilder in der Kunsthalle beleuchten noch einmal den erbitterten Streit darüber, ob man „Minderwertiges“ vom „Erbfeind“ Frankreich kaufen dürfe. Damals zentral beteiligt, heute fast vergessen: Gustav Friedrich Hartlaub

Mahnwort gegen die Invasion französischer Kunst und die „Überschätzung fremden Wesens“Empörung im Kunstverein: „Ein großer Teil ist im Irrenhaus entstanden“

Ein gutes Jahrzehnt waren Gustav Pauli und Carl Vinnen, der Museumsleiter und der Landschaftsmaler, bestens miteinander ausgekommen. In Paulis erstes Jahr als Direktor der Kunsthalle (1899)fiel der Ankauf des Vinnenschen Monumentalwerks „Ruhe an einem Vorfrühlingstage“, das noch heute im Worpsweder Zimmer der Kunsthalle hängt. Aber elf Jahre später war die Ruhe dahin.

Pauli hatte die umfangreichen Schätze der Kunsthalle systematisch erfasst und einen Plan vorgelegt, welche Kunstrichtungen künftig bevorzugt gesammelt werden sollten. Der international führende französische Impressionismus spielte dabei eine wichtige Rolle; schließlich hatten die Werke von Manet, Monet und Renoir auch die deutsche Maler-Avantgarde stark beeinflusst.

Den Ankauf von Monets „Dame im grün-schwarzen Kleid“ (Camille) für 50.000 Mark hatte Vorstandsmitglied Vinnen 1906 noch unterstützt. Als jedoch Ende 1910 bekannt wurde, dass der Kunstverein van Goghs „Mohnfeld“ für 30.000 Mark von dem Berliner Händler Paul Cassirer erworben hatte, startete Vinnen zu einem regelrechten publizistischen Amoklauf gegen die Kunst aus Frankreich. In einem in den „Bremer Nachrichten“ veröffentlichten „Mahnwort an den Kunstverein“ wetterte Vinnen gegen die „große Invasion französischer Kunst“ und gegen die „Überschätzung fremden Wesens“.

Vermutlich hatten einige ketzerische Ausführungen des jungen Bremer Kunsthistorikers Gustav Friedrich Hartlaub, seit 1910 Paulis Assistent, den Zorn Vinnens zum Ausbruch gebracht. In der Dezember-Nummer der „Güldenkammer“, einer von Kaffee-Krösus Ludwig Roselius finanzierten Kulturzeitschrift, hatte Hartlaub mit Blick auf den Erwerb des „Mohnfeldes“ eigene Gedanken zur künftigen Sammlungspolitik der Kunsthalle formuliert. Nicht die Pflege von „Heimatkunst“ war seiner Meinung nach deren nobelste Aufgabe, vielmehr verlange der „freie hanseatische Geist unserer Welthandels- und Seestadt“ ein weltoffenes Kunstinstitut, das die „Summe zeitgenössischer internationaler Produktion überblickt und die wahrhaft geschichtsbildenden Faktoren aus ihr heraushebt“.

Das war ein klarer Affront gegen die Worpsweder und besonders gegen Carl Vinnen, der 1894 die „Künstlervereinigung Worpswede“ mit Mackensen, Modersohn, Vogeler und anderen gegründet hatte. Der 26-jährige Hartlaub äußerte seine Ansichten weit kompromissloser als sein Chef Pauli, der sich in einem Leserbrief von seinem Assistenten mit den Worten distanzierte, Hartlaubs Position dürfe keineswegs „als eine offiziöse programmatische Erklärung“ der Kunsthalle missverstanden werden.

Im Streit mit Vinnen argumentierte Pauli zunächst buchhalterisch, nicht kunsthistorisch: Er rechnete vor, dass die Kunsthalle während seiner elfjährigen Amtszeit nur zwölf französische Werke, dagegen 55 Bilder von deutschen Malern erworben hatte: „Dieses Zahlenverhältnis lässt die französische Invasion nicht gerade als eine sehr bedrohliche erscheinen.“

Doch selbst dieses Argument stach bei den Gegnern van Goghs nicht. Die Wahnidee, der „Erbfeind“ Frankreich überschwemme mit minderwertigen Bildern das Land und mache heimische Künstler brotlos, war in die Welt gesetzt und gebar neue Schmähungen. „Ein großer Teil der Malereien van Goghs ist im Irrenhause entstanden“, empörte sich ein Vorstandsmitglied des Kunstvereins. Und auch Karl Schaefer, Kritiker der „Bremer Nachrichten“, stempelte van Gogh als „schwer zugänglichen Sonderling“ ab. Dem „Protest Deutscher Künstler“ schlossen sich übrigens auch Persönlichkeiten an, über deren Positionierung man heute erstaunt ist: Käthe Kollwitz etwa, damals immerhin schon schon 44 Jahre alt. Von ihr wird kolportiert, dass sie insbesondere Henri Matisses Werke für unerträglich hielt.

Während Gustav Pauli heute als Kreuzritter der Moderne gegen tümelnde Künstler vom Schlage eines Carl Vinnen dasteht, ist der Beitrag Gustav Friedrich Hartlaubs beim Streit ums Mohnfeld bisher ignoriert worden. In seiner 1936 erschienenen, umfangreichen Autobiografie unterschlägt Gustav Pauli seinen vielsprechenden Assistenten. Dabei hat Hartlaub die Revolution der künstlerischen Wahrnehmung und malerischen Interpretation, die mit van Gogh in die moderne Kunst eintrat, schon früh und brillant gerade am Beispiel des Mohnfeldes beschrieben: „Plötzlich erscheint diese Natur in einem merkwürdig bewegten Aufruhr“, heisst es etwa am 21. Dezember 1910 in den „Bremer Nachrichten“. „Das Terrain kommt (...) mit seinem Baumwuchs und seinen Blumen hervorgeprasselt und flieht, jagt, galoppiert gewissermassen in die Tiefe, wo es verschwindet, ohne dass der Himmel sichtbar wird.“

1913 wechselte Hartlaub zunächst als Kurator, dann als Leiter an die Kunsthalle in Mannheim. Er machte sich einen Namen als Förderer der Malerei der „Neuen Sachlichkeit“ – ein Begriff, den er 1923 prägte. Die Mannheimer Kunsthalle und ihr Direktor wurden bald zu Zielscheiben der nationalsozialistischen Kunst-Propagandisten. „Die wütenden Angriffe von damals konzentrierten sich (...) so sehr auf seine Persönlichkeit, dass der Name Hartlaub sprichwörtlich wurde für ‚entartete‘ Museumsdirektoren“, heißt es in einer Würdigung zu seinem 75. Geburtstag. 1933 wurde Hartlaub entlassen, 1946 bis 1959 wirkte er als Hochschullehrer in Heidelberg. Günter Beyer

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