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Kernland deutscher Geschichte

Die Flut sorgte auf der Straße der Romanik für touristische Flaute, doch selbst die Wasserburgen können auf dieser Route ins Mittelalter trockenen Fußes erreicht werden. Kirchen und Burgen bergen mitunter Schätze, die gerade erst entdeckt wurden

Im Halbdunkel entfalten die Domschätze ihr Mysterium

von HANNE BAHRA

Eine Reise in die Romanik auf romantische Art: Wir sitzen hoch auf dem gelben Wagen und lassen uns von stämmigen Haflingern durch den Harzwald ziehen. Es duftet nach Kiefernnadeln, Pilzen und feuchter Erde. Die Rücken der Pferde dampfen, Nebel wallen, hinter jedem Baum könnte ein Raubritter stehen. Schauerlich gellen die Schreie der Falken vom Falkenstein.

Plötzlich gibt der Wald den Blick auf die Zinnen einer steinalten Burgmauer frei, siebzehn Meter hoch, bis zu vier Meter dick – uneinnehmbar. Eine einsame Festung aus Grauwackerstein und Mysterien, die oft von den Romantikern als Ideal einer Ritterburg gemalt und gezeichnet wurde. Die düstere, spröde Wucht der Architektur auf dem hohen Bergsporn weckt auch in uns Bilder, vielmehr Puzzles aus Märchen, Kunstgeschichte und Kino. Von außen „Im Namen der Rose“, im Burginnenhof Fachwerkidylle.

Hier gab es bis vor kurzem sogar ein Geheimnis. Immer näher kam man in den 1980er-Jahren bei Sanierungsarbeiten der Falltür über dem unbekannten Raum zwischen romanischem und gotischem Burgkapellen-Gewölbe. Da ging das Material aus und all das Silber, Meissener Porzellan, die historischen Waffen, Archivalien und ein sehr altes Kirchenfenster blieben bis 1992 in jenem Versteck, in dem es die letzten Besitzer der Burg Falkenstein Ende des Krieges 1945 verborgen hatten.

Über Jahrzehnte vor aggressiven Umwelteinflüssen bewahrt, leuchtet das hochmittelalterliche Glasfenster nun noch immer in seinen ursprünglichen satten Farben und lockte inzwischen fast alle international bedeutenden Bleiglasforscher auf den Falkenstein.

Ansonsten gilt die mächtige Burg über dem Selketal unter den mehr als 1.500 Burgen, Schlössern und Herrenhäusern Sachsen-Anhalts bau- und kunsthistorisch eher als Randnote, bemerkenswert vor allem durch sein martialisch-mittelalterliches Antlitz.

Wir wandern weiter durch das Kernland deutscher Geschichte. Hier haben die ersten deutschen Könige und ihre Getreuen ihrem Glauben und ihrer Macht architektonische Denkmale gesetzt. Romanik auf Schritt und Tritt. Von allen Bundesländern weist, nach dem Rheinland, Sachsen-Anhalt die meisten romanischen Bauwerke auf. 72 allein an der tausend Kilometer langen Straße der Romanik. Etwa 1,32 Millionen Besucher pilgerten im vergangenen Jahr über die 1993 offiziell eingeweihte Ferienstraße, die sich wie eine Acht durch das Land schlängelt. Wer so durch Sachsen-Anhalt reist, vergisst bald die mancherorts marode Gegenwart.

Zum Leidwesen der Gastgeber sorgt die jüngste Flut für touristische Flaute. „Dabei blieben all die Kirchen, Dome, Klöster, Burgen und Pfalzen an der Straße der Romanik vom Hochwasser verschont“, versichert die Landesmarketing Sachsen-Anhalt GmbH.

Generell hat es das Bundesland schwer, sich gegen alte und neue Negativbilder zu behaupten. Lange verband sich mit dieser Region nur eine diffuse Vorstellung, vernebelt von den Dämpfen aus Bitterfeld. Öde Bahnhöfe an der Strecke Berlin–Magdeburg. Kirchtürme inmitten verlorener Städte. Nur fanatische Kunstkenner und Historiker reisten in die damaligen DDR-Bezirke Halle und Magdeburg, wussten noch, dass hier einst der Mittelpunkt des Heiligen Römischen Reiches war.

Heute ist Magdeburg die Hauptstadt jenes territorialgeschichtlich jungen Gebildes zwischen Fläming und Harz, Altmark und Saale-Unstrut, das abgesehen von einer fünfjährigen Interimszeit bis 1952, als politisches Kunstprodukt erst seit 1990 auf der Deutschlandkarte zu finden ist. Die vielen Burgen, Klöster und Kirchen aber sind über tausend Jahre alt. Ihre frühmittelalterlichen Spuren haben sich zumeist längst mit den Stilelementen der nachfolgenden Jahrhunderte verwoben.

Selten sieht man so reine Romanik wie in Gernrode. Der Rundbogen, das Markenzeichen jener Epoche, gliedert die strenge Fassade. Der Bau ist eine Addition geometrischer Formen, erdhaft und doch in der architektonischen Klarheit dem reinen Glauben, dem Himmel so nah. „Diese alten Kirchen sind versteinerte Psalmen … In einer Kirche wie der Gernroder kann die Predigt zur Not entfallen, weil die Steine predigen“, schrieb der Romantiker Wilhelm von Kügelgen, Hofmaler des Herzogs von Anhalt-Bernburg.

„In einer Kirche kann die Predigt zur Not entfallen, weil die Steine predigen“

Die Gernroder Stiftskirche St. Cyriakus, eines der besterhaltenen Bauwerke ottonischer Zeit, baute Markgraf Gero, ein Günstling Ottos I., nach grausiger Bluttat als Unterpfand für späteres Seelenheil.

Fast zärtlich streicht der ehemalige Küster dem steinernen Abbild Geros über die feingeäderten Hände. „Hohe Schule der Bildhauerei“, murmelt er und schreitet zur Nachbildung des Heiligen Grabes, eines der Hauptwerke ottonischer Plastik, im südlichen Seitenschiff. Diesen Grabnachbau aus dem 11./12.Jahrhundert rührte selbst der preußische Denkmalpfleger Ferdinand von Quast, der die Kirche im 19. Jahrhundert restaurierte, nicht an. „Noli me tangere.“ Leise, verhalten, von ganz unterschiedlicher Physiognomie und zarter Bewegung verkünden die Figuren das heilige Geschehen.

Anmutige Skulpturen auch an den Chorschranken der Halberstädter Liebfrauenkirche, nur eine halbe Autostunde von Gernrode entfernt. „Wie schön die Jungfrau Maria gleichzeitig Jungfrau, Mutter und Thron der Weisheit ist. Das sind die berühmtesten Chorschranken, die wir in Deutschland haben“, der Kunsthistoriker Günter Markowski, 81 Jahre alt, tänzelt, die Beinstellung der Apostel nachahmend, begeistert vor den romanischen Bildwerken.

Die Straße der Romanik ist gepflastert mit Superlativen. Im Halbdunkel von Remter und Kapitelsaal von St. Stephanus entfalten die Halberstädter Domschätze ihr Mysterium. Der Christus-Apostel-Teppich gehört zu den schönsten Werken romanischer Textilkunst. Mit begnadeter Gestaltungskraft wurde um 1160 der Abrahamteppich gewirkt.

Gesättigt im Geist, kehren wir abends auf der Westerburg ein und laben den Leib bei Minnesang und Mückensurren – die Westerburg ist eine Wasserburg. Wir sitzen unter 800 Jahre altem Tonnengewölbe, löffeln Kohlsuppe mit Fleischbrocken, essen Hühnerbeine mit den Händen und trinken aus irdenen Bechern Honigwein. Ein würdiger und zugleich sättigender Ausklang dieser Reise in die Vergangenheit.

Infos: Landesmarketing Sachsen-Anhalt GmbH, Hotline (01 80) 5 37 20 00 (0,12 €/Min.) oder www.sachsen-anhalt.de/tourismus. Romanik-Hotel Wasserschloss Westerburg, 38836 Westerburg/Dedeleben, Tel.: (03 49 22) 95 90. Romani-sche Burganlage, einst militärischer Außenposten von Karl dem Großen, ist seit zwei Jahren Hotel mit Erlebnisgastronomie und Schönheitsfarm. DZ mit Frühstück 82 €

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