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Cancún – der Goldesel Mexikos

Im menschenleeren Osten der mexikanischen Halbinsel Yucatán liegt der luxuriöse Ferienort Cancún. Wen Luxus nicht interessiert, dafür aber Natur, der sollte 200 Kilometer weiter südlich fahren: nach Chetumal, der Haupstadt von Quintana Roo

Eine Stadt, die ihre Entstehung und Existenz allein dem Tourismus verdankt

von THOMAS PAMPUCH

Cancún, 30 Jahre nach seiner Gründung: 500.000 Einwohner, über 2 Millionen Besucher im Jahr, 20.000 Hotelzimmer. Tendenz steigend. Die meisten Touristen kennen von Cancún nur die „Hotelzone“ auf der langen schmalen Halbinsel vor der Küste. Die meisten Einheimischen arbeiten zwar dort, aber sie leben im Zentrum. Seit drei Jahrzehnten ziehen Menschen aus ganz Mexiko auf der Suche nach Arbeit nach Cancún.

Rafael Gonzalez Guerrero etwa ist 1975 als Neunzehnjähriger aus Mexiko-Stadt hierher gekommen und hat Cancún seitdem wachsen sehen. Mit seiner Frau Anita und seinen drei erwachsenen Töchtern lebt er in einem hübschen Häuschen im Zentrum. Don Rafael ist „Maître“ in einem feinen Restaurant, das zu einer der besten Hotelanlagen von Cancún gehört. Gastronomie hat ihn interessiert, seit er in der gerade gegründeten Stadt als Küchenhilfe in einem der neuen Hotels angefangen hat. Seither hat er in allen Bereichen der Gastronomie geschuftet und Erfahrung gesammelt.

Das Zentrum Cancúns bietet hübsche Ecken, und hat – im Gegensatz zur Hotelzone – noch etwas mit Mexiko zu tun. Der Besuch des „Mercado 28“ ist auch für Touristen ein Vergnügen. In den ersten Jahren Cancúns gab es auf diesem Markt viele einfache Restaurants, berichtet Don Rafael. „Da waren neunzig Prozent der Bewohner Männer. Die hatten es nicht so mit dem Kochen und gingen zum Essen lieber auf den Markt.“ Heute sind die Restaurants nicht mehr ganz so billig. Dennoch ist Cancún-Centro etwas für Leute, denen das All-inclusive-Leben in den schicken Anlagen zu langweilig wird. Das Zentrum ist 24 Stunden pro Tag geöffnet. Es gibt gut zu essen und zu trinken, Bars mit kubanischer und jeder anderen Latino-Musik und es gibt Hotels, die viel billiger sind, als die in der Hotelzone, damit „auch Leute nach Cancún kommen können, die die teuren Preise dort nicht bezahlen können“.

Die Hotelzone freilich ist das ökonomische Herzstück Cancúns. Innerhalb weniger Jahre wurde sie zum Goldesel für Mexiko und den internationalen Tourismus. Jedes Jahr entstanden neue Prachthotels. Manche inspiriert von den Mayas, die in dieser Gegend schon vor 1.500 Jahren Pyramiden errichtet hatten. Das „Meliá Cancún“ etwa, mittendrin in der Hotelzone, versucht mit viel Glas an deren Architektur anzuknüpfen. Siebenhundert Zimmer hat dieser pyramidenfömige Palast, in dem auch Don Rafael früher gearbeitet hat, und den er uns nicht ohne Stolz zeigt. Sein neuer Arbeitsplatz aber ist im „Mediterrano“, einem der vier Spezialitätenrestaurants der nagelneuen Luxushotelanlage „Paradisus“, elf Kilometer südlich von Cancúns Hotelzone.

Der ideale Ort für einen Maître und Cancúnense aus Überzeugung, auch wenn Don Rafael jeden Tag fast ein Stunde bis zur Arbeit braucht. In einer Stadt, die ihre Entstehung und Existenz allein dem Tourismus verdankt, nimmt er das in Kauf. Was wäre Cancún, was Quintana Roo schließlich ohne Wachstum?

Hundertfünfzig Kilometer weit erstrecken sich inzwischen die feinen All-inclusive-Anlagen südlich von Cancún die Küste hinunter. Für die gesamte Zone haben sich die Tourismusmanager neuerdings einen Namen ausgedacht: „Riviera Maya“ (was angesichts einiger herausragender Mayastätten durchaus seine Berechtigung hat). Verkörpert Cancún eher die amerikanische Tourismusidee – riesige, luxuriöse Hotelanlagen weit entfernt von jeder mexikanischen Realität –, so könnte man die „Riviera Maya“ als eine Art europäische Variante des internationalen Massentourismus ansehen. Playa del Carmen etwa, mitten in der Riviera gelegen, galt einmal als Alternative zu Cancún, weil hier alles eine Nummer kleiner und nicht ganz so geplant war, und es sich früher sogar um ein echtes Dorf handelte. Inzwischen ist der ehemalige Fischerort zur am schnellsten wachsenden Stadt Mexikos geworden. Unter dem Codenamen „Playacar“ entstehen laufend neue „Resorts“. Und damit der Abstand zum amerikanischen „way of tourism“ nicht zu groß wird, hat sich in der Nähe ein maritimes Maya-Disneyland angesiedelt.

„Excaret“ versteht sich als „öko-archäologischer Freizeitpark“, der über allerlei exotische Tiere (wie etwa Haie und Seekühe) als auch einen unterirdischen Fluss verfügt, der schon die Mayas bewog, in dieser Gegend ein Zeremonialzentrum zu errichten. Wirklich empfehlenswert aber ist Excaret wegen seiner täglichen Aufführungen des alten rituellen Maya-Ballspieles. Es ist der einzige Ort der Welt, wo man sich jeden Abend um sechs eine Partie dieses merkwürdigen Sportes ansehen kann, der seit etwa 2.000 Jahren gespielt wird. Und das ausschließlich mit Hüfte und Hintern.

Wer die mexikanische Karibik pur erleben will, wen Luxus nicht interessiert, dafür aber Natur und Abenteuer, der sollte noch einmal 200 Kilometer weiter südlich fahren: nach Chetumal, der Haupstadt Quintana Roos, immerhin die „Wiege der Mexikaner“. Hier wurde nämlich 1511 der schiffbrüchige spanische Seemann Gonzalo Guerrero von den Mayas gefangen genommen. Er brachte es später bis zum Berater des Häuptlings von Chetumal, kämpfte mit ihm gegen die Spanier und bekam dafür als Belohnung die Häuptlingstochter zur Frau. Mit ihr zeugte er die ersten mexikanischen Mestizen. In Spanien gilt Guerrero als Verräter, in Mexiko aber gilt er als Held, und Chetumal als die Wiege des Mestizentums.

Im Gegensatz zu dem inzwischen weit größeren Cancún ist Chetumal eine gewachsene Stadt. Früher bestand sie vor allem aus hübschen Holzhäusern. Die meisten von ihnen wurden am 27. September 1955 durch den Hurrikan Janet zerstört, der die kleine Hafenstadt zu einem völligen Neuanfang zwang. Seit 1974 ist Chetumal die Hauptstadt des neu gegründeten Bundesstaates Quintana Roo. Das Leben blieb auch weiterhin geruhsam, an Natur und Kultur aber hat Chetumal eine ganze Menge zu bieten.

Dazu gehört das beste Maya- Museum Mexikos und eine moderne Universität, die als eine der ganz wenigen Hochschulen der Welt den Studiengang „alternativer Tourismus“ anbietet. Denn auch Chetumal will Touristen, aber möglichst andere als die in Cancún oder an der „Riviera Maya“.

Fremdenverkehrsamt Cancún: prb_cvbcancun@hotmail.com oderdirprom@qroo.gob.mx; beste Tauchadresse: cruisedivers@hotmail.com; Reiten kann man prima in Punta Venado, in der Nähe von Playa del Carmen auf der Isla Mujeres:ptavenado@yahoo

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