: Hoffnung kann gebaut werden
Familienfreundliche Grundrisse und ökologisch korrekte Holzschutzmittel: Im Einfamilienhaus spiegelt sich seit eh und je der Wunsch nach einer besseren Gesellschaft. Jetzt hat das rot-grüne Reformprojekt sich der Eigenheimzulage angenommen
von KOLJA MENSING
Das Einfamilienhaus birgt utopisches Potenzial. Nach dem Zweiten Weltkrieg suchte man in einem kleinen Häuschen mit Garten nach einem friedlichen Neuanfang in der Provinz – und die gerade erst gegründete Bundesrepublik machte ihre Bürger mit dem berühmten Paragrafen 7b EStG zu aktiven Häuslebauern. Neben den Steuervergünstigungen konnten zukünftige Bauherren seit den Fünfzigerjahren auf öffentliche Subventionenen hoffen. Die mittleren Einkommenschichten, die in den kommenden Jahrzehnten die bundesrepublikanische Gesellschaft dominieren sollten, fanden so im Einfamilienhaus die Golddeckung für ein beständiges und risikoarmes Leben.
Nachdem Alexander Mitscherlich 1965 in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ über die „Einfamilienhausweiden“ und ihre „Bimsblock-Tristesse“ hergefallen war, erkannten auch die kritischen Geister der Bundesreplik zuletzt die revolutionäre Komponente eines Bausparvertrags. Das Einfamilienhaus sollte der Rahmen für eine freie Kindererziehung sein, und Elisabeth Dessais Buch „Wohnen und Spielen mit Kindern“ propagierte 1976 allerhand „Alternativen zur familienfeindlichen Architektur“. Aufgeklärte Einfamilienhausbesitzer und -besitzerinnen warnen sich bis heute gegenseitig vor „gebauten Konflikten“ (Wolf Ruede-Wissmann in „Die Wohnung – unsere dritte Haut“).
Das Projekt einer gesamtgesellschaftlichen Erneuerung war in den Siebzigerjahren in ein verstärktes Engagement für die bedrohte Umwelt umgeschlagen. Rund um Rudolf Kellers Bestseller „Bauen als Umweltzerstörung“ wuchs die Kritik an der Betonierung der Landschaft – und bald darauf setzte der Trend zum naturschonenden Bauen ein. Vom Verzicht auf gesundheitsschädliche Holzschutzmittel über die Installation von Solarzellen bis hin zum Fertigprodukt „Niedrigenergiehaus“ gibt es bis heute zahlreiche Varianten des ökologisch korrekten Wohnens.
So spiegelt sich in den blitzblanken Scheiben der Einfamilienhäuser der Glaube an die quasi architektonische Überwindung individueller, familiärer und gesellschaftlicher Konflikte. Die aktuellen Pläne der Regierung, die Eigenheimzulage, die seit 1996 die steuerlichen Begünstigungen abgelöst hat, im Fall eines Neubaus zunächst nur noch an Familien mit mindestens sechs Kindern zu vergeben, überraschten darum nicht. Auch wenn diese Anforderungen derzeit nach unten korrigiert werden: Angesichts der Tatsache, dass nur noch in einem guten Drittel der deutschen Haushalte Kinder leben, möchte die Koalition aus dem Einfamilienhaus offenbar eine Zuchtstätte machen. Die Wunschmaschine zum Kinderwunsch: Mit der Änderung des Gesetzes zur Eigenheimzulage stirbt das Einfamilienhaus nicht, sondern wird Teil des von Tag zu Tag sich deutlicher abzeichnenden rot-grünen Reformprojekts. Ab ins Nest. Brüten.
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