: Der Abschied fällt leicht
Manche Arten dürfen gerne abtreten: Malariamücken und Pocken etwa werden gnadenlos bekämpft
BERLIN taz ■ Am 9. Dezember 1979 feierte die Welt offiziell die gelungene Ausrottung einer Art. In einer feierlichen Zeremonie erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO das Pockenvirus offiziell für tot. Neue Impfstoffe und verbesserte Hygiene hatten den Krankheitserreger besiegt.
Wenn es um die Beseitigung eines Krankheitserregers geht, gibt es keinen Artenschutz-Pardon. Der Pesterreger Yersinia pestis ist so weit zurückgedrängt, dass er nur noch lokal ausbricht. Und der Erreger der Kinderlähmung, Polio, könnte laut Bundesgesundheitsministerium bald „völlig ausgerottet“ sein. Dabei haben biologisch gesehen Viren und Bakterien das gleiche Recht auf Leben wie Blauwale und Petunien – mit einem vitalen Unterschied: Sie bedrohen Gesundheit und Leben der Menschen. Tuberkuloseerkrankungen nehmen seit 20 Jahren wieder rapide zu. Aids- und Ebola-Erreger sind bisher nicht besiegt. Jährlich sterben 2 Millionen Menschen an Malaria.
„Es gibt ein Recht der Gattung Mensch auf Selbstverteidigung“, sagt Dieter Birnbacher, Professor für Philosophie und Naturethik an der Universität Frankfurt. Auch Kampfhunde „muss es nicht unbedingt geben“, denn „unzumutbare Belastungen müssen wir nicht akzeptieren“.
Deshalb wird nach bestem Wissen und Gewissen ausgerottet. Die internationale Atomenergiebehörde (IAEA) etwa investiert Millionen von Dollar, um Milliarden von Mücken in Afrika radioaktiv zu bestrahlen und ganze Populationen unfruchtbar zu machen. Den Erreger der Flussblindheit in Afrika bekämpft man durch konzentrierten Pestizideinsatz. Bis vor hundert Jahren wurden die Wölfe in Mitteleuropa offiziell bis zur Ausrottung gejagt.
Heute richtet sich die erwünschte Ausrottung von Arten vor allem gegen tierische und pflanzliche Einwanderer, die ein ganzes Ökosystem durcheinander bringen können. So wurde der Opuntienstrauch in Australien zur Plage, weil er das Weideland überwucherte. Zu seiner Ausrottung wurden Schmetterlinge, die Kakteenrüssler, eingeführt.
Auch die Kaninchenplage in Australien wollte die Regierung jahrzehntelang durch die Ausrottung der Nager beenden. Nach Gift, Raubtieren, Fallen, Begasungen und dem Einsatz eines Virus kapitulierten die Australier schließlich vor den Tieren, die sie selbst importiert hatten.
Ohnehin solle der Mensch die Finger davon lassen, andere Arten auszurotten, meint eine Minderheit von Ökophilosophen um den US-Professor David Ehrenfeld. Er kritisiert die „Arroganz des Humanismus“, konkurrierende Arten zu vernichten. Und auch das „Komitee für gerade ausgestorbene Spezies“ in New York wettert gegen diese „anthropozentrische Position“. „Wenn man eine Abstimmung unter allen Arten der Welt abhalten würde, gäbe es eine Art, die alle ausrotten würden“, schreiben die Artenschützer: „Und das ist der Homo sapiens.“
BERNHARD PÖTTER
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