Artist in Vitrine

Cuxhaven hat seit dem Wochenende ein kleines feines Ringelnatz-Museum. Es zeigt Bekanntes und Ungewohntes aus dem Leben eines der beliebtesten deutschsprachigen Dichter

Mit Ringelnatz, denkt man, hätte man gern einige Nächte durchgesoffen

„In aller Eile, da ich verreisen muss, das Folgende“, schreibt Ringelnatz im Sommer 1929 an einen Herrn Ostwald. „Ich bin geboren am 7. August 1883 in Wurzen in Sachsen. Ich bin von der Schule aus zur See gegangen, habe nach meiner Seemannszeit ca. 33 andere Berufe gehabt und lebe seit Jahren als Schriftsteller, Maler und Kabarettist. Ich wohne in München (leider!).“

1929 war ein schwieriges Jahr für Hans Bötticher, der sich seit 1919 Ringelnatz nannte. Strapaziöse Reisen paarten sich mit geringen Einnahmen. 1933 folgten Auftrittsverbote und verbrannte Bücher. Ein Jahr darauf brach die Tuberkulose endgültig aus. „Ringelnatz Joachim, Kunstmaler“, verzeichnete das Berliner Telefonbuch, als er im November 1934 starb.

Kunstmaler. Das dürfte der größte Teil des „unbekannten Ringelnatz“ sein, den zu erforschen und präsentieren seit Jahren ein Forschungsschwerpunkt in Göttingen betreibt. Nicht ohne Erfolg. Eine Menge Sekundärliteratur ist entstanden, eine Stiftung, mehrere Ausstellungen. Und nun ein Museum. In einem kleinen gedrungenen Haus in der Cuxhavener Südersteinstraße findet sich seit dem Wochenende vieles, was man vielleicht geahnt, aber nicht gewusst hat. Dass beispielsweise dem maritimen Einschlag, der mit Ringelnatz’ Oeuvre identifiziert wird (nicht zuletzt wegen der Popularität der Kunstfigur „Kuttel Daddeldu“, des ewig trunkenen Seebärs), eine Faszination für die Fliegerei zur Seite stand. 1929 erschien ein ganzer Band mit „Flugzeuggedanken“.

Ringelnatz, ein früher Flieger. Dargestellt wird auch, dass der Dichter sich einerseits für und von Kindern begeistern ließ, diesen aber auch einiges an Bösartigkeit in Text und Bild zumutete. Oder soll man’s Realismus nennen? Das „geheime Kinder-Verwirr-Buch“ – das meinte er ernst. Ein verspielter Humanismus scheint Ringelnatz anzutreiben.

Vieles von ihm liest sich heute wie kommentierte Alltagsgeschichte. Die Kinder etwa sollten nicht grundlos verwirrt sein. Wenn Kuttel Daddeldu seinen Kindern das Märchen vom Rotkäppchen erzählt, dabei laufend den „offiziellen“ Text verändert, sympathisiert er mit ihnen – gegen die Welt der Erwachsenen. Die Großmutter erscheint recht zahnlos. Und das rötlich behütete Mädchen ist auch nicht auf niedlich gezeichnet.

Ringelnatz und die Klischees: Ein reichhaltiges Thema. Im Leipziger Zoo traf er Frauen aus Samoa, die sich, in Ermangelung des Geldes für die Rückreise, vor den Sonntagsausflügern „zu Affen machten“. Kurzerhand holte er reichlich Christbaumschmuck von zuhause, beschenkte und behängte die Frauen damit und zerstörte so das Bild der „reinen Wildheit“. Immer wieder haderte Ringelnatz auch mit seinem eigenen Klischee – damit, einseitig auf die Rolle der komischen Figur festgelegt zu werden. An der er andererseits strickte, wenn er etwa ein Honorar von zwei Millionen Reichsmark Honorar (1923) mit einem kackenden Elefanten quittierte.

Es tut dem neuen Museum gut, dass Ringelnatz viele Zettelchen vollgemalt hat, dass noch reichlich Zeichnungen und Gemälde existieren – stilistisch ungemein vielfältige. So gibt es auch was zu zeigen. Und das widersprüchliche Leben des dichtenden Matrosen mit über dreißig Berufen bis hin zum Tabakladenbesitzer in München klärt sich ein wenig.

Zur Eröffnung ertönten aus vollen Männerkehlen Shanties aus seiner Feder. Ringelnatz hatte zum ersten Mal welche ins Deutsche übertragen. Mit Ringelnatz, denkt man da, hätte man gern einige Nächte durchgesoffen. Tim Schomacker

Das Ringelnatzmuseum, Südersteinstraße 44 in Cuxhaven, ist ganzjährig dienstags bis sonntags von 10-13 und 14-17 Uhr geöffnet. Der Katalog ist bei Wallstein in Göttingen erschienen und kostet 25 Euro