: Was vor dem Filmbild kommt
Seine Räume sind Verschwörungen: Geheime Schalthebel, Falltüren und Gucklöcher machen es den Helden schwer. Eine Ausstellung im Martin-Gropius-Bau widmet sich dem Filmarchitekten Ken Adam
von ANKE LEWEKE
Das Wort Filmausstellung verströmt eine entsetzliche Langeweile. Man stellt einen Film aus, indem man sein schönstes Prinzip, nämlich die Bewegung, anhält. Man zerlegt das nun wehrlose Etwas in seine einzelnen Bestandteile, etwa Requisten und Kostüme, man zeigt Auszüge des Drehbuchs, Storyboards und Film-Stills. So werden der schöne Schein, Glanz und Glamour, der ganze Reiz der Unternehmung auf Technik und Handwerk reduziert: ein ziemlich desillusionierendes Verfahren.
Umso seltsamer, wenn man sich in einer Filmausstellung plötzlich beim Staunen erwischt, sogar mit offenem Mund vor einem Monitor stehen bleibt, der nichts weiter als banale Bauarbeiten zeigt. Doch wahrlich, ich sage euch, man glaubt, dem Turmbau von Babel zuzusehen oder dem der Pyramiden! Ein kleines Filmchen dokumentiert in der Ausstellung „Ken Adam: James Bond – Berlin – Hollywood“ die Entstehung des teuersten frei stehenden Sets seit der Erfindung der bewegten Bilder: Es ist der Vulkan mit Schiebedach aus dem Bondfilm „Moonraker“. Ein gigantisches Holzgerüst, unendliche Stahlmassen, Lastwagen, die sich in schwindelerregende Höhen schieben, winzig kleine Männer, die schwere Lasten hinter sich herziehen. Mittendrin im Arbeitsgetümmel steht Ken Adam, ein gut gelaunter Mensch, der sich wie ein kleiner Junge im Buddelkasten freut, weil seine Sandburgen plötzlich ganz reale Gestalt annehmen – einschließlich Hubschrauberlandeplatz und einer 33 Meter hohen Rakete im originalgetreuen Nasa-Design. Ian Fleming mag der Schöpfer des britischen Geheimagenten sein, doch Adam, der berühmteste Produktionssdesigner der Filmgeschichte, erschuf die Bondwelten, auf die man sich immer am meisten freute: mit ihrem spezifischen, in jeder Folge wechselnden Look, mit ihrer weltmännischen Atmosphäre, ihren exotischen Schauplätzen. Und nicht nur für die 007-Filme entwarf Adam seine so hoch technisierten wie durchgeknallten Kommandozentralen, auch der war room aus Stanley Kubricks „Dr. Strangelove oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“ ist seine Erfindung.
Für Adam ist die fassbare Realität hinter der Illusion bis heute Geheimnis und Quintessenz seiner Arbeit. Wenn sich der Kratersee des Moonraker-Vulkans als gigantisches Schiebedach entpuppt und ein hochmodernes Navigationszentrum freilegt, dann wird das ganze Ausmaß dieser wunderbar bösartigen Kreation denn auch geradezu physisch erfahrbar. Immer geht es bei dem vom deutschen Expressionismus beeinflussten und nach England emigrierten Adam um Ängste, vor allem um die Angst des Eingeschlossenseins. Schon seine ersten Filmskizzen sind grafische Umsetzungen einer Klaustrophobie, bei ihrer Betrachtung fühlt man sich in eines der ausweglosen Gefängnisse versetzt, die später Bonds Kombinationsgabe herausfordern werden. Als akribischer Entwurf geht auch das Kommandowohnzimmer aus „Der Spion, der mich liebte“ dem legendären Filmbild voraus. Ein prächtiger, mit Renaissancebildern ausgestatteter Saal, eine prunkvolle Tafel mit schweren Kerzenständern und goldenen Kelchen. Am Tischende wird dann Stromberg alias Curd Jürgens thronen. Mit einer für den Zuschauer unsichtbaren Kommandoleiste am Tischrand kontrolliert er das Geschehen. Per Knopfdruck werden die Gemälde hochgezogen und geben den Ausblick auf eine atemberaubende Meereslandschaft frei. Wiederum per Knopfdruck zieht er seinem Gegner den Boden unter den Füßen weg und wirft ihn Haien zum Fraß vor. Ken Adams Bondskizzen sind gespickt mit diesen unangenehmen Überraschungen, mit jedem Schritt begab sich 007 weiter auf unsicheres Terrain und vermintes Gelände, beobachtet von verborgenen Kameras, bespitzelt durch geheime Gucklöcher.
Fast alle Adam-Entwürfe sind schwarzweiße Filzstiftzeichnungen mit ungeheurem Sinn für die Dramatik von Licht und Schatten. Generationen von Kameramännern waren sie perfekte Vorgabe für ihre Arbeit, denn schon die erste Rohskizze ließ erkennen, wo und mit welcher Stärke ein Scheinwerfer aufzustellen war. Also lassen wir uns mit dem Wort Filmausstellung versöhnen. Hier geht es tatsächlich nicht um eine Zerlegung, bei der das Kino auf dem Obduktionstisch der Filmwissenschaft landet. Im Gegenteil, es geht um die höchst lebendige Verwandtschaft der Motion Pictures – um die Bilder vor den Bildern.
„Ken Adam: James Bond – Berlin – Hollywood: Visionäre Filmarchitektur“, Martin-Gropius-Bau, bis 24. 2. 2003
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen