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Ein Visionär mit Senf und Ketchup

Das Konzept: Brötchen vom Edelbäcker, selbst gemixter Senf und Fleisch von glücklichen Kühen

aus New York KIRSTEN GRIESHABER

Das Würstchen ist vom Vortag, das Brötchen klebt am Gaumen, und gegen den Senf entscheidet man sich, schon weil die Flaschen verschmiert sind. Wundersamerweise sind die New Yorker Hot Dogs trotzdem heiß begehrt, und so beneidet niemand die gestressten Verkäufer, die bei jedem Wetter hinter ihren Buden an den Straßenkreuzungen von Manhattan für 1,25 Dollar pro Stück ihre Ware verkaufen. Meist sind die Männer erst vor kurzem aus dem Nahen Osten eingewandert, sprechen kaum Englisch und sind froh, überhaupt einen Job zu haben.

Bis vor kurzem hätte Brian Benavidez jeden ausgelacht, der ihm eine Zukunft als Würstchenverkäufer prophezeit hätte. Nun steht der New Yorker in einer Lagerhalle in Brooklyn und verkauft von morgens bis abends Hot Dogs, Pommes und Milchshakes. Bis vor rund einem Jahr verdiente der 35-Jährige bei einer Internetfirma in Manhattan ein Jahresgehalt von über 100.000 Dollar, jetzt verlangt er für Rindswürstchen mit gehackten Zwiebeln und Ketchup 2,50 Dollar pro Stück.

Äußerlich wirkt Brian Benavidez immer noch wie ein dynamischer Jungunternehmer. Der Wollpulli sitzt, die Hornbrille sieht nicht billig aus, und die grauen New-Balance-Turnschuhe sind in New York voll im Trend. Aber Benavidez ist ein Rezessionsopfer. Anders als bei früheren Wirtschaftskrisen in den USA landen diesmal besonders die hoch qualifizierten Fachkräfte arbeitslos auf der Straße. In der Medien- und Werbeindustrie gab es bereits hunderte von Entlassungen, die großen Finanzunternehmen an der Wall Street haben tausenden von Mitarbeitern gekündigt, die Internetbranche ist in sich zusammengebrochen. Die Terroranschläge vom 11. September, so erklärt Benavidez, seien schließlich der endgültige Todesstoß für seine Firma gewesen: „Am 31. Oktober 2001 kam meine Entlassungsurkunde ins Haus geflattert.“ Mit der Kündigung löste sich sein Traum vom großen Geld in Luft auf. Wenigstens zunächst einmal.

Seine Karriere hatte aussichtsreich begonnen. Wehmütig erinnert sich der gebürtige Detroiter, wie er Mitte der Neunzigerjahre nach New York kam, um an der Business School der Columbia University Ökonomie zu studieren. Die Uni, bekannt für ihre engen Beziehungen zur Privatwirtschaft, ebnete ihm den problemlosen Eintritt in die New Yorker Geschäftswelt. Als Benavidez sein Studium 1996 mit einem MBA, dem Master of Business and Administration, abschloss, konnte er sich vor Stellenangeboten kaum retten.

Die Wirtschaft florierte, die Internetbranche boomte, die USA befanden sich im kollektiven Start-up-Rausch. Auch Benavidez zögerte nicht lange; wie die meisten seiner Kommilitonen setzte er auf den schnellen Dollar im Dotcom-Gewerbe und nahm ein lukratives Angebot von American Express an. Dreieinhalb Jahre lang arbeitete Benavidez in der dortigen Internetabteilung, dann wechselte er zu Bolt, der größten interaktiven Internetseite für amerikanische Teenager.

Er legt reihenweise heiße Würstchen in aufgeschnittene Brötchen und quetscht Ketchup und Senf aus Plastikflaschen darauf. Dann erzählt er von den „fetten Jahren“ Zwar hatte er eine 60-Stunden-Woche und machte ständig Überstunden, doch das nahm er für den luxuriösen Lebensstil gerne in Kauf. Von seinem Spitzeneinkommen mietete er ein Loft in Brooklyn, lud seine Freundin in die teuersten Restaurants und Bars von Manhattan ein und schmiss Partys für seine Freunde.

Selbst nachdem Brian Benavidez seinen Job verloren hatte, lebte er weiter gut und realisierte zunächst überhaupt nicht, dass die Zeit des großen Geldes vorbei war. „Die ersten Wochen fand ich gar nicht schlimm“, erzählt er, während er eine Portion Pommes frites mit geriebenem Käse bestreut und in die Mikrowelle stellt. „Ich habe einfach nur geschlafen. Nachmittags bin ich mit meinem Hund Sparky spazieren gegangen und habe stundenlang in Cafés herumgesessen.“

Nach drei Monaten erfolgloser Jobsuche setzte die Ernüchterung ein. Die wenigen Stellenangebote, die er bekam, schlug er aus, weil er sich von der Arbeit unterfordert fühlte. „Ich war manchmal richtig depressiv“, sagt er. Als ob er sich für solche Gefühle schämt, fügt er schnell hinzu: „Natürlich bezog sich das nur auf meine Jobsituation.“

An einem Nachmittag hatte er dann die zündende Idee. Wenn Brian Benavidez erzählt, wie das kam, wie groß der Frust vorher war und wie kalt der Januarnachmittag, dann spürt man, dass dies der triste Tellerwäscherteil der Geschichte sein soll, dem aber schon bald der Aufstiegsteil folgt und der den aufmerksamen Zuhörer ein Happy End als Millionär ahnen lässt.

Es war also an diesem kalten Januarnachmittag, als Benavidez sich in der Bücherei einen Videofilm über die Geschichte der Hot Dogs in Amerika auslieh. „Ich liebe Hot Dogs“, erklärt er voll Inbrunst, „und als ich den Film gesehen habe, war mir klar, dass ich nicht der Einzige bin. Alle wirkten glücklich, haben Würstchen gegessen und gelächelt – die Verkäufer, die Käufer und sogar die Budenbesitzer.“ Der Film, sagt Benavidez ernst, sei sein Aha-Erlebnis gewesen. „Auf einmal wusste ich, wie ich meinem Leben wieder einen Sinn geben konnte. Ich wollte auch Hot Dogs verkaufen und die Menschen damit glücklich machen.“

Endlich wieder mit einem Ziel vor Augen, stürzte Benavidez sich in sein neues Projekt und beschloss, Würstchenverkäufer zu werden. Stolz beschreibt er, wie er sein Geschäftskonzept bis ins letzte Detail selbst ausgearbeitet hat: „Schließlich war ich ja mehrere Jahre im Business-Development tätig, und wenn es um Verkaufsstrategien geht, ist der Unterschied zwischen Würstchen, Bits und Bytes gar nicht so groß. Es geht darum, die Konsumenten zum Kaufen zu bewegen.“

Professionell, so wie er es während seines Wirtschaftsstudiums gelernt hatte, fertigte Benavidez einen vierseitigen Businessplan an – ein Kinderspiel im Vergleich zu den 80-seitigen Konzepten, die er noch ein Jahr zuvor entwickelt hatte. Sein Erfolgsrezept, so sagt Benavidez, sei die überragende Qualität seiner Produkte. Er verkaufe seinen Kunden nicht irgendwelche Würstchen, sondern Hot Dogs de luxe, die besten von ganz New York. Das Rindfleisch stammt von glücklichen Kühen aus Kalifornien, die Brötchen lässt er in einer Edelbäckerei in Downtown Manhattan backen, und Ketchup und Senf mixt er selber zusammen. Alle Zutaten sind frisch und aus biologisch kontrolliertem Anbau. Statt der klassischen Bude auf Rädern hat er eine alte Lagerhalle angemietet und sie mit Stühlen vom Flohmarkt und ausrangiertem Geschirr bestückt. Von den Stühlen blättert die Farbe ab, von der Wand bröckelt der Putz. Das alles aber hat Brian Benavidez zum Stil erhoben.

Den Laden benannte er nach seinem Hund: „Sparky’s American Food“. Das One-Man-Business liegt an einer Geschäftsstraße in Williamsburg, dem zurzeit hippsten Stadtteil von Brooklyn. Hier haben sich in den letzten Jahren viele Künstler und Kinder reicher Eltern angesiedelt – genau die richtige Zielgruppe für seine Edelwurst, befand Benavidez: „Denen tut es nicht weh, wenn sie für meine Würstchen das Doppelte bezahlen müssen. Qualität hat eben ihren Preis.“

Er wohnte in einer Loft, ging teuer essen, schmiss Partys. Da dauerte es, bis er merkte, dass alles vorbei war.

Ob Benavidez’ Geschäftskonzept aufgeht oder er in einem halben Jahr verschuldet auf der Straße steht, ist noch nicht abzusehen. Dafür ist sein Fast-Food-Laden noch nicht lange genug in Betrieb. Einige seiner Kunden habe er schon mehr als einmal bedient, versichert er. Seinen leckeren Würstchen könne auf Dauer niemand widerstehen.

Benavidez möchte immer noch ein reicher Mann werden. Seine Idee vom amerikanischen Traum vom Erfolg ist trotz der Rückschläge nicht totzukriegen. Dabei kann er zurzeit nicht einmal die nächste Miete für seine Loft bezahlen und muss deshalb in eine billigere Wohnung umziehen. Arbeitslosengeld hat er im August zum letzten Mal bekommen, und bis jetzt hat sich seine Würstchenbude noch nicht in eine Goldgrube verwandelt.

Im Gegenteil, Benavidez hat sein gesamtes Erspartes in den Schnellimbiss investiert. „Ich hatte noch 40.000 Dollar auf der Bank“, erzählt er, „eigentlich war das meine Altersvorsorge, aber stattdessen habe ich es bis auf den letzten Penny als Startkapital benutzt.“ Weil man sich in New York mit 40.000 Dollar aber unmöglich selbstständig machen kann, pumpte Benavidez auch seine Familie und Freunde an. Fast 50.000 Dollar kamen dabei zusammen, falls der Laden erfolgreich läuft, will Benavidez seinen Mitinvestoren ein Vielfaches ihres Vorschusses zurückzahlen.

Manchmal verliert auch Benavidez seinen Optimismus. Fast beschämt, als ziemten sich Zweifel für einen Geschäftsmann seines Ranges nicht, erzählt er, dass er wieder schlaflos im Bett gelegen habe. Was soll er bloß machen, wenn sein Würstchenkonzept nicht aufgeht? Auch er kennt die Statistiken der Small Business Administration von New York, wonach mehr als die Hälfte aller Neugründungen nach spätestens vier Jahren pleite sind.

Ob er einen weiteren Karriererückschlag überstehen würde? Diese Frage will Benavidez nicht beantworten. Sie gehört nicht in die Story, die seinen Traum am Leben hält. Er sagt lieber: „No risk, no fun.“

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