piwik no script img

„Weggesperrte Demonstranten“

Die linke Anwaltsorganisation RAV ruft heute zu einer Kundgebung gegen den Grundrechtsabbau im Wendland auf. RAV-Geschäftsführer Hannes Honecker über demonstrationsfreie Korridore und das Recht, in Rechte anderer einzugreifen

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Honecker, die im RAV organisierten linken Rechtsanwälte rufen heute in Gorleben zu einer Demo gegen die „Endlagerung von Grundrechten“ auf. Was meinen Sie damit?

Hannes Honecker: Anlässlich des kommenden Atommülltransportes protestieren wir gegen die zunehmende Grundrechtsfeindlichkeit der Bezirksregierung Lüneburg und des Landes Niedersachsen. Vor allem das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ist im Wendland nicht mehr gewährleistet.

Worum geht es genau?

Beim Castor-Transport im Vorjahr kam es zu 2.180 präventiv-polizeilichen Festnahmen von Demonstranten. Diese wurden zum Teil über Tage hinweg in Containern und Käfigen festgehalten. Nur in jedem zehnten Fall wurde überhaupt ein Richter mit der Freiheitsentziehung befasst, zum Beispiel „weil die Akten noch nicht vorgelegt“ werden konnten. Außerdem gab es zahllose Platzverweise, selbst gegen Leute, die im Wendland leben.

Nach Auskunft des Verfassungsgerichts liegt in Karlsruhe gegen die von Ihnen angeprangerte „Endlagerung der Grundrechte“ nichts vor.

Diese massenhaften Festnahmen sollte man tatsächlich vor das Bundesverfassungsgericht tragen, denn dieses Wegsperren der Demonstranten wirkte wie ein faktisches Demoverbot.

Kann Ihre heutige Demonstration stattfinden?

Ja. Eine von Anwälten angemeldete Demonstration wird wohl nicht so schnell verboten. Auch deshalb hat sich die BI Lüchow-Dannenberg an uns gewandt.

Die weiteren Demonstrationen in den kommenden Tagen haben nicht Sie, sondern andere Gruppen angemeldet. Sind diese Demos verboten worden?

Bisher noch nicht. Es gibt allerdings ein allgemeines Demonstrationsverbot 50 Meter links und rechts der Transportstrecke.

Halten Sie so einen demofreien Korridor für zulässig?

Nein. Demonstranten haben das Recht auf freie Wahl des Versammlungsortes. Es kann nicht sein, dass die Betreiber der Castor-Transporte bestimmen, wo eine Demonstration für sie am günstigsten platziert werden kann.

Umfasst das Demonstrationsrecht nach Ihrer Ansicht auch ein Recht auf Behinderung von Castor-Transporten?

Sie werden mich nicht zu einer Definition bringen, was der RAV noch für legal hält und was nicht. Im Übrigen ist Recht stets im Fluss und nicht feststehend. Bei der Ausübung wichtiger Grundrechte muss ein gewisser Eingriff in Rechte anderer möglicherweise akzeptiert werden.

Sie fordern also, dass hier konkurrierende Rechte gegeneinander abgewogen werden?

Genau. Und den Demonstranten geht es immerhin um das Recht der kommenden Generationen auf eine lebenswerte Existenz in einer unzerstörten Umwelt.

Auf der Kundgebung wird mit Marianne Selke auch eine Vertreterin des Auschwitz-Komitees sprechen. Soll das andeuten, dass der Faschismus vor der Tür steht?

Nein. Damit verbeugen wir uns lediglich vor dem Datum des 9. November, der Reichspogromnacht 1938.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen