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„In die Gesellschaft hineinwirken“

Wichtiges Scharnier innerhalb der Hamburger Künstlerförderung und tragfähige soziale Utopie: Das Künstlerhaus Weidenallee praktiziert seit 25 Jahren die Synthese von Wohnen und Arbeiten. Und braucht zum Januar 2004 ein neues Domizil

von PETRA SCHELLEN

Wäre es nicht der erste Stahlbetonbau Hamburgs – es stünde längst nicht mehr. Und hätten sich 1981 nicht die Bewohner gegen den Abriss gewehrt – das Künstlerhaus Weidenallee e. V. wäre verblassende Erinnerung.

Probleme hat es in der Geschichte des jetzt 25-jährigen Künstlerhauses immer mal gegeben – Krisen, von denen die aktuelle die einschneidendste ist: Ende 2003 müssen die 13 Künstlerinnen und Künstler, deren Vorgänger 1977 die ehemalige Schraubenfabrik umbauten, ausziehen.

Die Kündigung des Ende 2003 auslaufenden, nur „optional“ bis 2005 verlängerbaren Mietvertrags geht aus vom Architekten Rüdiger Findeisen, der jahrelang Künstlerhaus-Vereinsmitglied war. 1997 erwarb er das Gebäude, beteuerte Vorbesitzern und Kulturbehörde gegenüber aber, dass er das Künstlerhaus erhalten wolle. Doch dies bezeugt kein Dokument. Und so empfindet der Eigner keine Verpflichtung, das mündlich gegebene Versprechen einzulösen. Im Gegenteil: Deftige Quadratmeterpreise kann er künftig nehmen; lukrativere Mieter als die Künstler findet er in jedem Fall.

Dabei ist grundlegend fraglich, ob ein Viertel eher durch Kunst oder durch Kommerz aufgewertet wird. „Ich betrachte dieses Haus – Ateliers, Wohnungen und Ausstellungsraum – als soziale Utopie“, sagt Sabine Mohr, die seit acht Jahren im Künstlerhaus lebt und als Koordinatorin fungiert. „Als Versuch, die für bildende Künstler spezifische Reibung zwischen Introspektion und Außenwirkung zu mildern.“

Das erste Künstlerhaus Deutschlands war es, das 21 Hamburger im Jahr 1977 gründeten. In Eigenregie installierten sie Ausstellungsraum, Ateliers und Wohnungen. „Eine typische 70er-Kommune war dies allerdings nie“, sagt Mohr. Denn sie findet mit Brecht, „dass zum Zusammenleben immer ein Drittes dazukommen muss – ein Thema, das als Kommunikationsgegenstand dient: in unserem Fall die Kunst.“

Organisiert ist das Haus wie ein mittelständischer Betrieb: „Alle Arbeitsbereiche sind formalisiert: Es gibt einen rotierenden Vorstand, eine Ausstellungs-Organisationsgruppe – jeder beteiligt sich.“ Klingt paradiesisch, doch Sabine Mohr beschwichtigt: „Es hat Jahre gedauert, diese Strukturen aufzubauen.“

Austauschprojekte mit Chicago, Tokio, Marseille hat das Künstlerhaus organisiert; Sommer-Ateliers für ausländische Gäste zählen seit zehn Jahren zum Repertoire. Mohrs Fazit: „Das Künstlerhaus ist wichtiges Scharnier innerhalb der Hamburger Kunstszene. Und für viele inzwischen international renommierte Künstler wie Tony Craig, Martin Kippenberger, Lothar Baumgarten und Mariella Mosler waren wir Sprungbrett.“ Etliche haben es in die Kunsthallen-Reihe „Standpunkte“ geschafft. „Es ist offensichtlich, dass wir auch den etablierten Institutionen zuarbeiten und einen Teil des Risikos abfangen“, sagt Sabine Mohr.

Dieses Netzwerk wäre empfindlich gestört, wenn das Künstlerhaus stürbe. Und noch ist zum Januar 2004 kein Ersatz gefunden. „Vermittelnde Hilfe der Kulturbehörde könnten wir schon gebrauchen bei der Suche nach einem Gebäude, das wir natürlich selbst umbauen werden“, sagt Sabine Mohr. „Und unser Konzept ist keineswegs überholt. Mir scheint vielmehr, dass derzeit eine Wiederbelebung bzw. Weiterentwicklung unserer Idee stattfindet. Viele Jüngere wollen Künstlerhäuser gründen, weil sie deren Atmosphäre schätzen.“

Doch auch das eigene Konzept bleibt nicht starr: „Ich stelle mir vor, dass wir in einem neuen Haus, was die Außenwirkung betrifft, noch eine Brennstufe weiter gehen. Denn es mangelt an Vermittlung und Lehre. Hier könnten wir ansetzen – durch die Arbeit mit Schülern, Volkshochschulen, Kunsterziehern. Denkbar wäre eine Sommerakademie, die ganz nebenbei Einblicke in künstlerische Lebenszusammenhänge böte. Denn unser Ziel ist, in alle Bereiche der Gesellschaft hineinzuwirken.“

Was aber nicht heißt, dass man nicht gelegentlich nostalgisch würde: Am 29. November steigt ein Fest; im März 2003 folgt eine Schau im Kunsthaus. Bis dahin gibt es eine Jubiläums-Plakatedition mit Beiträgen von Peter Boué, Juro Grau, Ole Henrik Hagen, Jochen Lempert, Sabine Mohr, Peter Piller, Daniel Richter, Thomas Rieck, Eva Rieckehof und Doris Schneider. Alle ansässig Weidenallee 10 B.

Die Plakatedition ist bis 23. November im Künstlerhaus Weidenallee 10 B zu sehen: Mi–Fr 18–20, Sa+So 16–18 Uhr.

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