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„Absurder Optimismus“

Die zentrale Erfahrung wird die Ungleichheit innerhalb der Generation sein: Der amerikanische Philosoph Jedediah Purdy über die Zukunft der Dreißigjährigen, das Ende der New Economy und darüber, warum es okay ist, seine Eltern zu verteidigen

Interview PATRIK SCHWARZ

taz: Ich habe zum ersten Mal von Ihnen erfahren, als mein Vater mir einen Ihrer Zeitungsartikel zuschickte. Ist es nicht ein schlechtes Zeichen für einen Jungautor, wenn Väter seine Texte ausschneiden und ihren Söhnen schicken?

Jedediah Purdy: Was hat er denn dazu geschrieben?

Lies das, mein Sohn! Dann siehst du, es gibt noch vernünftige Leute in deinem Alter.

Meinte er, im Unterschied zu Ihnen?

Ja, wahrscheinlich. Er sagte wohl, da gibt es Leute wie Sie, die sorgen sich um den Zustand der Welt, und genau so sollte die junge Generation sein!

Glaubte er denn, Sie würden seinen Standards nicht gerecht? Immerhin sind Sie ein politischer Journalist. Oder hat Ihr Vater Bedenken, weil Ihre Haare ein bisschen wuscheliger sind als meine? Oder was für einen Fehler begehen Sie?

An den Haaren liegt es sicher nicht, als 68er trägt er seine im Zweifelsfall länger als ich. Aber er hat wohl den Eindruck, dass Medien und Politik heutzutage zu kurzatmig sind, während Sie sich um die großen Fragen vom Umweltschutz bis zur Globalisierung sorgen. Hat er sich da die richtige Vorstellung von Ihnen gemacht?

Ja und nein. Nein, denn ich glaube, dass die politischen Alternativen, die man heutzutage vertreten kann, begrenzter sind, homogener auf beiden Seiten des Atlantik und in jedem Fall pragmatischer als die Ansichten, die zu den Zeiten unserer Eltern aus der 68er-Generation plausibel schienen.

Das wärmt noch keinem 68er das Herz.

Was Leute wie Ihr Vater in meinen Texten entdeckt haben – und ich schätze das –, ist der Gedanke, dass es eine Enttäuschung darüber gibt, mit Politik nicht mehr länger die Hoffnung und das moralische Drama verbunden zu sehen, das einmal da war. So geht eine Art Traurigkeit mit der Erkenntnis einher, dass Politik jetzt oft mehr der Erhaltung des Status quo oder sogar nur der Abwehr des Verfalls dient. Dieses Gefühl des Verlusts empfinden Leute, die älter sind oder radikaler als wir, besonders deutlich.

Das klingt nach schwermütigem Lamento.

Ich bleibe ja nicht dabei stehen. Gleichzeitig mache ich den Versuch zu entdecken, welchen Sinn für Leidenschaft und Dringlichkeit es innerhalb einer pragmatisch begrenzten Politik noch gibt – auch wenn es viel einfacher ist, diese Leidenschaft in einem radikalen Programm zu finden. Ich werbe dafür, dass vielleicht mehr Dinge, als wir gewöhnlich erkennen, unser Vertrauen verdienen – und zwar gerade die „common things“, die gemeinsam geteilten Dinge.

Jetzt sind wir sogar bei Großvatersprüchen!

Zugegeben, ich benutze dafür Bilder aus einer ökologischen, prämodernen Welt. Ich rede von der Beziehung des Handwerkers zu seinem Handwerk oder des Bauern zu seinem Land. Aber das sind Metaphern, nicht wörtlich zu nehmende Vorschriften für ein glückliches Leben.

Aber Sie fordern von unserer Generation das Ende der ironischen Distanz, obwohl doch erst die uns erlaubt, eigene Wege zu gehen. Und Sie predigen eine Hinwendung zur Ernsthaftigkeit im Umgang mit der Welt, als drohte uns die nicht noch früh genug.

Sie meinen, das ist so eine typische Elternhaltung? Nicht nur, glaube ich. Oft meinten gerade Leser, die ein paar Jahre jünger als ich sind, sie hätten in meinen Überlegungen die Wurzeln ihres eigenen Zynismus gegenüber der Politik erkannt. Da gibt es Leute, die sich als Idealisten sehen, aber belagert von Zynikern – und Leute, die sich als zynisch erleben, aber nicht wirklich happy damit sind. Sie hatten den Eindruck, meine Diagnose des Zynismus half ihnen …

ihre Krankheit zu überwinden?

Ich glaube nicht, dass Zynismus eine Krankheit ist, eher schon ein Fehlurteil, eine frühreife Weltenmüdigkeit, die sich oft nicht auf allzu viel Erfahrung mit Erschöpfung gründet.

Sind Sie nicht der Frühreife? Ihre Eltern trafen 1974 eine radikale Entscheidung, indem sie ausstiegen und sich aufs Land zurückzogen. Noch 30 Jahre später rühmen Sie Ihre Eltern für diesen Schritt. Zeigt das nicht das Dilemma unserer Generation: Statt zu rebellieren, glorifizieren wir die Rebellion unserer Eltern?

Ich finde das nicht so merkwürdig. Zur Radikalität unserer Elterngeneration gehörte zum Beispiel, die Errungenschaft zu verkennen, die der liberale Staat darstellt. An diesem Punkt befinde ich mich in völligem Widerspruch zu meinen Eltern, grenze mich also in einer konservativen Richtung ab, nicht in einer noch radikaleren.

Trotzdem geben Sie den perfekten Sohn.

Ich bin wahrscheinlich nicht ganz überzeugt von der Idee, dass sich die Authentizität einer Generation nur über ihre Opposition zur Vorgängergeneration definiert. Die Eigenschaften anzuerkennen, die man von seinen Eltern ererbt hat, und sie dann durch eigene Erfahrung zu verändern, ist eine genauso gute Form der Generationenfolge wie eine Rebellion. Ich sehe nicht, warum das eine glaubwürdiger sein soll als das andere.

Steckt darin nicht eine Kapitulation vor dem Anspruch auf ewige Jugend, den die 68er erheben: politisch, persönlich und im Musikgeschmack?

Das trifft wohl auf die deutsche Situation mehr zu als auf die amerikanische. Eure 68er haben als erste öffentlich die Bewältigung der Nazivergangenheit eingefordert und sich seitdem als Gründergeneration eines moralisch geläuterten Deutschland begriffen. Ich kann mir vorstellen, dass Sie in Deutschland sich in einer Weise von Ihrer Elterngeneration eingeengt fühlen, wie wir es nicht empfinden.

Was ist anders in den USA?

Die amerikanischen 68er haben niemals ein vergleichbares Level an Hegemonie im politischen und moralischen Bewusstsein Amerikas erreicht. Sie haben zwar eine gewisse kulturelle Durchdringung der Gesellschaft in dem Sinne bewirkt, dass man das Radio anmachen kann und heraus kommen die Songs dieser Generation. Aber selbst das stimmt nicht mehr ganz. Ich bin neulich die Ostküste rauf und runter gefahren, und habe auf diese Weise eine Art Radiotest machen können. Das Ergebnis ist: Man hört gar nicht so viele ihrer Songs im Radio.

Hatten Sie nicht mit Bill Clinton einen 68er-Präsidenten?

Vieles spricht dafür, dass er eher als zentristischer Südstaaten-Gouverneur gewonnen hat denn als 68er. Und spätestens die Erfolge der Bush-Administration, wie jetzt bei den Kongresswahlen, stellen einen ziemlich unmissverständlichen Aufstand der amerikanischen Mehrheit gegen den Hegemonieanspruch der 68er dar.

So einfach ist das?

Hinzu kommt, dass wir in den 90er-Jahren den New-Economy-Boom erlebten, der jungen Leuten ermöglichte, schon in den ersten drei bis fünf Jahren nach der Universität ihre Eltern finanziell zu überflügeln. Die Eltern konnten also selbst die Institutionen des Wirtschaftslebens nicht im Würgegriff ihrer Generation halten, wie das vielleicht in Deutschland der Fall war. Das Gefühl, erdrückt zu werden, ist in unserer Generationserfahrung als Amerikaner um die 30 nicht so mächtig.

Die Internet-Bubble ist geplatzt. Geht’s jetzt zurück zur Erfahrung der Generation X, wie sie Douglas Coupland schon einmal Ende der 80er-Jahre beschrieb: eine Jugend, der es zwangsläufig dreckiger gehen wird als ihren Eltern?

Die Coupland-Einstellung, es werde immer abwärts gehen, hat etwas gemeinsam mit dem absurden Optimismus der New Economy: Beide Fantasien spiegeln die Tendenz wider, von begrenzter Erfahrung kühn zu extrapolieren – einmal nach unten, einmal nach oben. Beides war natürlich eine Karikatur. In Wirklichkeit wird die zentrale Erfahrung unserer Generation die Ungleichheit innerhalb der Generation sein. Anders als früher geht es heute nicht mehr um den Kampf einer Generation gegen die andere – sondern um den Kampf innerhalb unserer Generation um ökonomische und soziale Perspektiven.

No risk, no fun?

Die Bereitschaft zum Risiko allein hilft nicht länger weiter. In den USA sind die Einkommensunterschiede in den letzten 25 Jahren mit wenigen Ausnahmejahren gewachsen. Die Besserverdienenden machen viel mehr Geld als früher, während die Mittelschicht sich kaum verbessert hat und die Arbeiter einen realen Kaufkraftverlust erlitten. Die Berufschancen werden sich also in einer Generation spreizen. Die interessante Frage ist daher nicht, wie sich Wohlstand zwischen den Generationen verteilt, sondern wie er sich zwischen Reich und Arm in derselben Alterskohorte verteilt.

Unsere Generation ist das Ende aller Generationen?

Heutzutage läuft jeder herum und sucht nach einer neuen Generationserfahrung, weil die 68er eine Generationserfahrung hatten. Aber das Konzept hilft nicht mehr wirklich weiter. Der Kampf der Generationen ist zu Ende.

Sie werden oft als Philosoph vorgestellt. Katherine Marsh von der Washington Post bescheinigte Ihnen ein Gesicht wie Alfred E. Neumann. Ist das in Amerika ein Kompliment?

Nein, natürlich nicht! Das ist ganz schön abwertend.

Ist der Titelheld von Mad kein Held der Popkultur?

Nein! Er ist vielleicht eine Ikone der Populärkultur, aber eher als Clown. Mit einer kraftvollen, sexy Männlichkeit hat das nichts zu tun.

Wenn Sie sich’s aussuchen könnten, welche Ikone der Popkultur wären Sie gerne?

Das ist jetzt wahrscheinlich peinlich. Als ich an meinem letzten Manuskript arbeitete, habe ich mir viermal den „Herrn der Ringe“ angeschaut, das dauerte insgesamt 14 Stunden oder so. Es hat einfach Spaß gemacht, aber ich empfinde auch eine gewisse Attraktion für die Fanatasy-Aufteilung in Gut und Böse. Besonders hingezogen bin ich zu Aragorn, dem Waldläufer, der im Schwertkampf alle rettet, und dem es so gut steht, wenn er Blut im Gesicht hat.

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