: Proteste gegen Todesurteil
Rund 1.000 Studenten protestieren in Teheran für Meinungs- und Pressefreiheit. Anlass ist das Todesurteil gegen den Universitätsprofessor und Reformer Hashem Aghadjari
BERLIN taz ■ Rund tausend Studenten haben am Samstag in Teheran gegen die Justiz, die bei den konservativen Islamisten die Speerspitze gegen die Reformbewegung bildet, und für Meinungs- und Pressefreiheit protestiert. Es war die erste große Demonstration seit Sommer 1999. Anlass war ein, auch für iranische Verhältnisse ungewöhnlich hartes Urteil gegen Hashem Aghadjari, Professor an der Hochschule für Lehrerausbildung. Aghadjari, der auch führendes Mitglied der an der Regierung beteiligten Organisation der Islamischen Revolution ist, war am vergangenen Mittwoch von einem islamischen Gericht zum Tode, acht Jahren Gefängnis, zehn Jahren Lehrverbot und 74 Peitschenschlägen verurteilt worden.
Gestern meldete sich auch das Parlament zu Wort. Fast zwei Drittel der Abgeordneten sprachen sich für die Aufhebung des Todesurteils aus. Parlamentspräsident Mehdi Karrubi sprach von einem empörenden Urteil, das nicht ausgeführt werden dürfe. Für andere Abgeordnete zeigt sich Iran mit dem Urteil als „diktatorisches, inhumanes und unfreiheitliches Land“.
Anfang August hatte der 45-jährige Professor in der Stadt Hamadan einen Vortrag über den islamischen Reformismus gehalten und war dabei mit der herrschenden Geistlichkeit hart ins Gericht gegangen. „Der Unterschied zwischen der Zeit vor der islamischen Revolution und unserer Gegenwart besteht darin“, sagte er, „dass wir nicht in erster Linie mit einem traditionell orientierten Islam konfrontiert sind, sondern mit einem Islam, der im Besitz der politischen Macht ist. Heute ist der Klerus mit der politischen Führung des Staates identisch.“ Diese Macht sei mehr als der konservative Islam bereit, die Rechte der Individuen zu missachten.
Die Geistlichkeit habe nicht nur Gott und den Glauben, sondern auch die weltliche Macht monopolisiert. Damit erlaube sie sich jede Willkür. Sie lasse ihre Kritiker foltern, zu falschen Geständnissen zwingen, hinrichten oder durch Terroranschläge ermorden. All dies sei mit der Substanz des Islam nicht vereinbar. Daher sollte der „islamische Reformismus“ unter den heutigen Umständen sich nicht allein gegen die längst überkommene Tradition richten, sondern sich weit mehr für die Durchsetzung der Menschenrechte und humaner Grundsätze einsetzen.
Der Redner erhielt überschwänglichen Beifall, wurde aber zugleich von einer kleinen Minderheit im Saal so heftig beschimpft, dass er seine Rede abbrechen und flüchten musste. Bereits am nächsten Tag organisierte die Rechte eine Kampagne gegen ihn. Die konservative Presse wütete, in zahlreichen Städten wurden Protestdemonstrationen organisiert, bei denen auch Aghadjaris Hinrichtung verlangt wurde.
Diesem Verlangen folgte die Justiz. Das Urteil gegen einen der profilierten Köpfe der Reformbewegung ist eine weitere Machtdemonstration der konservativen Islamisten. Sie scheinen entschlossen, der Reformbewegung mit aller Gewalt den Garaus zu machen. Die vergangenen Monate erinnern an die ersten Jahre nach der Revolution. Laut der Menschenrechtsorganisation amnesty international sind allein in diesem Jahr 97 Menschen in Iran hingerichtet worden. Im Oktober wurde ein junger Mann sogar dreimal erhängt, obwohl er schon beim ersten Mal tot war. Die Begründung: Er wurde dreimal zum Tode verurteilt. Auch Steinigungen von Frauen sind wieder an der Tagesordnung.
BAHMAN NIRUMAND
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