: … und hinter tausend Stäben keine Welt
Was man mit einer Silbe nicht alles machen kann. Polizeichef Glietsch stellt im Innenausschuss seine Strukturreform vor
Viele Organigramme flimmerten gestern im parlamentarischen Innenausschuss vor dem Auge des Betrachters vorbei, Zahlen, merkwürdige Begriffe und Formeln: LZ ohne Fubz, Bube, LSpolD, FüSTa, 272 DV, LS PPr … Über die an die Wand geworfenen Bilder der künftigen Polizeiführungsstruktur legte sich der tiefe, fränkische Dialekt des Polizeivizepräsidenten Gerd Neubeck, der von Optimierungspotenzialen, Straffung, Reduzierung und Abschichtung redete. „Abschichtung“, flüsterte ein Zuhörer auf einem hinteren Rang, „erkläre ich hiermit zum Unwort des Jahres.“
Noch öfter als Abschichtung fiel aber ein anderes Wort: Stab oder auch Stäbe. Leitungstab, Stabsbereich, Stabsleiter, Führungsstäbe … So häufig, dass es dem in den Reihen der Abgeordneten sitzenden innenpolitischen Sprecher der Grünen, Wolfgang Wieland, schließlich reichte: „Alles Stab – oder was?“
Stab oder Stäbe? Diese Frage drängte sich wirklich auf, als Gerd Neubeck gestern den Zwischenbericht zum Stand der Polizeistrukturreform erstmals öffentlich vorstellte. Der aus 300 Mitarbeitern bestehende Stab des Landesschutzpolizeiamtes und der aus rund 100 Angehörigen bestehende Stab des Polizeipräsidenten soll personell „abgeschichtet“ und die Aufgaben in einem einzigen Leitungsstab zusammengeführt werden. Dieser neue Leitungsstab soll sich nach Vorschlag der Projektgruppe in den Stabsbereich Lagezentrum sowie in sechs themenbezogene Stabsbereiche gliedern. Rund 120 so genannte Dienstverrichter (DV) sollen dadurch für andere Aufgaben freigesetzt werden. Des Weiteren sieht die Planung vor, dass auch das Landeskriminalamt und eine neu zu bildende Direktion „Zentrale Aufgaben“ jeweils über einen großen Stabsbereich verfügen sollen. Nein, man lasse „nicht 1.000 Stäbe blühen“, bat Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) Wieland, sich von dem Wort Stab „nicht irritieren zu lassen“. „Stäbe“ heiße nicht, dass in Zukunft mehr Personal mit „Stabsarbeiten“ beschäftigt sei, sondern, dass weniger Dinge „gerechter zusammengeführt“ würden.
Der von diesen obskuren Begrifflichkeiten gequälten Zuhörerin ging es am Ende der Ausschuss-Sitzung so wie dem „Panther“ von Rainer Maria Rilke: Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, daß er nichts mehr hält. / Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe / und hinter tausend Stäben keine Welt … PLUTONIA PLARRE
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