: Risiko Problemkind
Kindergartenkind läuft vor U-Bahn. Erzieher verwarnt. Kita sieht ihr pädagogisches Konzept in Frage gestellt
Im Fall der sechsjährigen Josefine, die aus ihrer Kindergruppe weg- und vor die U-Bahn gelaufen war, sind die beiden Erzieher vom Amtsgericht schuldig gesprochen worden. Richter Frank Giesler erkannte auf „fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen“ und verwarnte die Angeklagten Anke W. und Malte H. mit Beträgen von 1200 und 1500 Euro, die er auf drei Jahre zur Bewährung aussetzte.
Wie am Freitag berichtet, hatten die Erzieher mit ihrer siebenköpfigen Gruppe auf einem Spielplatz unweit der Kita zu Mittag gegessen. Als Malte H. das Geschirr ins Haus zurückbrachte und seine Kollegin sich kurz einem anderen Kind zuwandte, büxte die geistig und körperlich behinderte Josefine aus. Sie spazierte in den U-Bahnhof Christuskirche und setzte sich dort ins Schotterbett, wo sie von einer U-Bahn erfasst und schwer verletzt wurde. Inzwischen ist sie wieder gesund. Sie gebe aber noch weniger Laute von sich als vor dem Unfall, sagte ihre Mutter.
Der Richter hielt W. vor, sie hätte sich nicht ablenken lassen dürfen, weil sie wusste, dass Josefine ein besonderes Kind ist. Dass das Mädchen drei Wochen zuvor schon einmal aus ihrer Gruppe weggelaufen war, wusste W. allerdings nicht, wohl aber ihr Erzieher-Kollege H., der ihr dies hätte mitteilen müssen, so der Richter. Die Erzieher hätten bei Josefine besondere Vorsicht walten lassen müssen. Sie hätten entweder auf dem eingefriedeten Gelände ihrer Kita bleiben oder Josefine so einbinden können, das Weglaufen unmöglich gewesen wäre.
Bei den Erziehern und ihren Kollegen sorgte das Urteil für Bestürzung. „Ich habe das Gefühl, es darf diese Kinder nicht geben“, sagte Josefines Betreuerin Helga Hönck. Zum Konzept ihrer Kita gehört es, behinderten und nicht behinderten Kindern zusammen möglichst viel von dem Stadtteil zu zeigen, in dem sie leben. Durch das Urteil sehen sie diese Möglichkeiten in Frage gestellt. Gernot Knödler
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