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Wie spare ich Geld im Bezirk?

Berlin ist pleite, aber die Bezirke tun was dagegen. In Friedrichshain-Kreuzberg heißt ein Sparmodell „Strukturplan“. Wie er funktioniert und wie er wirkt, zeigt die taz-Sparanweisung in drei Schritten – am Beispiel des Mädchenprojektes „Double X“

von SUSANNE LANG

Der Senat kann im nächsten Jahr weniger Geld an die Bezirke verteilen. Das steht bereits seit der Verabschiedung des Doppelhaushalt 2002/2003 im Juni fest. In Friedrichshain-Kreuzberg beispielsweise müssen deshalb insgesamt 9 Millionen Euro gespart werden und in der Abteilung Jugend und Sport – das berechnet sich nach einem internen Schlüssel – 1,8 Millionen. Gemeinsam mit dem Jugendhilfeausschuss hat die zuständige Bezirksstadträtin, Siegrid Klebba (SPD), einen Strukturplan für die Jugendarbeit in den so genannten acht „Sozialräumen“ des Bezirks entwickelt. Mit folgenden Leitlinien:

1. Minimiere das Angebot, maximiere die Leistung. Ziel: Qualitätsgarantie

15 Einrichtungen werden dem Plan zufolge schließen müssen, unter anderem das Mädchenzentrum „Double X“ im Sozialraum II im Ortsteil Kreuzberg. Dort lebten voriges Jahr rund 5.600 Mädchen und junge Frauen zwischen 10 und 27 Jahren, an die sich das Angebot von „Double X“ richtet. Während die Mitarbeiter dem Bezirk den jugendpolitischen Bankrott vorwerfen, hält das Bezirksamt den Strukturplan für sozial verträglich. Ziel ist nach Angaben der Bezirksrätin, pro Sozialraum je eine Einrichtung speziell für Mädchen bestehen zu lassen. Dadurch soll die offene Kinder- und Jugendarbeit gewährleistet werden. Das künftige Mädchenzentrum des Bezirks wird mit dem Verein Rabia, einem interkulturell- feministischen Mädchenprojekt, in den alten Pferdestall an der Falckensteinstraße ziehen.

Im Keller der Kreuzberger Villa des „Double X“ stimmen die Harmonien noch. Daisys Schlagzeug trommelt im Takt, Jeanettes Bassgitarre brummelt dazu und Zenebs E-Gitarre zupft die Melodie. Improvisierter Rock, das steht auf dem Programm der frisch gegründeten Band. „Wir wollen erst mal lernen, zusammen im Takt zu bleiben“, erklärt die 17-jährige Daisy.

In den letzten vier Monaten war sie oft im Keller des Mädchenzentrums, wo das Frauentrio in einem Bandraum dreimal die Woche probt. An diesem Tag klappt es gut. Der erste Song hat schon über zehn Takte, bald könnte es ans Texten gehen. Könnte, denn den Mädchen rennt die Zeit davon. Ende des Jahres wird es ihren Probenraum nicht mehr geben.

Ob Frauen-Bands dann noch so intensiv gefördert werden können, wie es das „Double X“ im Rahmen seines musikpädagogischen Schwerpunktes macht, das bezweifelt Jutta Brambach, eine der vier Sozialpädagoginnen im „Double X“. „Musik und Tontechnik ist immer noch eine Männerdomäne und wird nur in gemischten Jugendhäusern angeboten“, so Brambach.

Daisy und den anderen bliebe beispielsweise der Probenraum im benachbarten Jugendzentrum „Wasserturm“. „Dort ist es aber ziemlich unbequem“, klagt Daisy. „Die Akustik ist auch total schlecht.“ Sie möchte in der Villa mit den gelb gepinselten Treppenstufen und bunten Postern an den Wänden bleiben. „Im Wasserturm kümmert sich nie jemand um uns, wenn wir spielen“, sagt sie und schlägt einen Tusch auf dem Schlagzeug.

Siegrid Klebba: „Es ist besser, wenige Schwerpunkt-Standorte gut mit Personal und Sachmitteln auszustatten, als viele Einrichtungen zu halten, die mit gekürzten Mitteln kaum mehr betrieben werden können. Deshalb hat der Ausschuss das Gesamtangebot der Sozialräume geprüft und eine Mindestversorgung definiert. Wenn wir uns auf Schwerpunkt-Standorte konzentrieren, können wir eine Jugendarbeit gewährleisten, die über das nächste Quartal hinaus Bestand hat. Dieser Grundstandard wird nicht mehr gekürzt werden.“

2. Kooperiere mit freien gemeinnützigen Trägern. Ziel: Aufgaben- und Kostendelegation

Um öffentliche Ausgaben zu senken, setzt der Bezirk auf das Engagement von freien Trägern. Die Organisationsstruktur in der Kinder- und Jugendarbeit soll Schritt für Schritt umgebaut werden. Angestrebt sind mehr Leistungsangebote von privater als von öffentlicher Hand. Voraussetzung bleibt, dass die Träger nach dem Jugendhilfegesetz anerkannt sind. Gute Erfahrungen mit dieser Form von Zusammenarbeit hat der Bezirk beispielsweise mit der Deutschen Sportjugend gemacht, die den „Deutsch-Türkischen Mädchen- und Jungentreff“ in der Arndtstraße betreibt. Aus dem Projekt „Double X“, das der Bezirk gemeinsam mit dem freien Träger „Interkulturelles Forum Feministischer Frauenarbeit“ betreibt, zieht sich der Staat jedoch zurück. Pro Jahr wird er gut 230.000 Euro an Zuwendungen sparen.

Am runden Kaffeetisch im Erdgeschoss von „Double X“ haben sich Zwischentöne in die Harmonie gemischt. Anja Bierbaum und Jutta Brambach sitzen vor ihren Teetassen und halten Krisenstab, wie jeden Tag, seit sie von der Entscheidung des Bezirks erfahren haben, dass ihr Mädchenzentrum geschlossen wird. Und wieder einmal schütteln beide ihre Köpfe. „Wir haben uns doch erst etabliert“, sagt Brambach, die vom „Interkulturellen Forum“ als Leiterin des „Double X“ angestellt ist.

Im Sommer 1998 hatte das Double X eröffnet, seither veranstalten die Mitarbeiter regelmäßig Workshops, Diskussionsrunden und berufsorientierende Kurse. Gewaltprävention ist ein Schwerpunkt, Computer und Internet, Selbstverteidigung, Musik- und Tontechnik, interkulturelles Lernen sind die anderen. Vieles organisiert die Einrichtung in Zusammenarbeit mit Initiativen oder Schulen. „Das Double X ist ein Ort der Vernetzung und Kooperation der Mädchenarbeit“, wie in der Selbstbeschreibung steht. Erst im Juni führten Brambach und Bierbaum mit elf Mädchen der Hector-Petersen-Schule eine Projektwoche zum Thema „Selbstbehauptung“ durch.

„Wie sollen denn unsere gewachsenen Strukturen so schnell aufgefangen werden“, sagt Brambach, mehr feststellend als fragend, während der Blick der 49-Jährigen durch den Raum schweift. Von der Theke des kleinen Cafés über die selbst gemalten Bilder und bunten Poster an der Wand weiter zu dem Computer an der Tür, einem frei zugängigen Internetportal, bis zur Sofaecke am anderen Ende des Raums, auf der gerade einige Mädchen laut reden, lachen und sich über die kurze Pause von ihrem Nähkurs freuen. An der Theke klappern ein paar Teller und Tassen, die Cafémusik aus den Boxen summt sanft dazu.

„Niederschwellig“, so beschreiben Jugendpolitiker im Behördendeutsch das „Double X“. Jede kann kommen, im Café erste Kontakte zu anderen Mädchen oder zu den Sozialarbeiterinnen knüpfen und sich für Kurse anmelden. Für die Theatergruppe zum Beispiel, die Bierbaum leitet. „Es ist toll, wenn man nach ein paar Terminen merkt, dass sich die Mädchen immer mehr zutrauen“, sagt die 29-Jährige. „Dass sie sich auf einer Bühne präsentieren und selber Ideen entwickeln.“ Momentan arbeitet eine Gruppe an einer Art modernem Märchen. Inhalt: „ein klassischer Mutter-Tochter-Konflikt“, beschreibt Bierbaum.

Klebba: „Es bleibt immer ein gewisses Risiko bei der Kooperation mit freien Trägern. Viele werden sich nie völlig aus eigenen Einnahmen finanzieren können und damit abhängig sein von staatlichen Zuwendungen in Form von Kooperationen. Der Bezirk muss überlegen, welche Leistungen er sinnvoll und jugendpolitisch verantwortlich an welche Träger abgeben kann. Das haben wir im Rahmen des Strukturplans getan. Unsere Aufgabe ist es nicht, alle Einrichtungen selbst zu betreiben. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Jugendarbeit im Bezirk auf hohem Niveau und in angemessenem Umfang stattfindet.“

3. Knüpfe Netzwerke. Ziel: Koordination

Ganz ohne staatliche Gelder errichtet zurzeit ein privater Träger ein zusätzliches Projekt für Kinder- und Jugendarbeit im Sozialraum II. Der Berliner Verein Goldnetz e. V. wird es gemeinsam mit einer Hamburger Stiftung an der Methfesselstraße betreiben. Für den Bezirk sei dies ein Glücksfall, so Klebba, die mit dem neuen Projekt Erfahrungen austauschen, nicht aber finanziell kooperieren möchte.

Manchmal machen die Zwischentöne auch Mut. „Ihr denkt, das macht nix“, steht in krummen Buchstaben auf dem weißen Leinentuch, das über der Sofaecke in der Villa Kreuzberg hängt. Ein Zeichen des Protests, den Mädchen und Mitarbeiter während der letzten Zeit in zahlreichen Aktionen gezeigt haben.

Wie können wir das Double X trotzdem retten? Das sei die wichtigste Frage im Augenblick, meint Brambach. „Vielleicht können wir selbstständig freie Träger und Vereine ins Boot holen“, überlegt sie. Die Nachbarschaftsinitiative, die sich um das angrenzende Tiergehege kümmert, zum Beispiel. Allerdings müssten sie bis Ende des Jahres die finanziellen Grundlagen zumindest so weit geschaffen haben, dass sie die Villa dem Bezirk abkaufen könnten. „Wenn es nicht klappt, ziehen wir einfach in die blaue Lagune“, schlägt Bierbaum vor und alle lachen. Blaue Lagune, so nennen die Pädagoginnen das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg mit seiner blau lackierten Fassade. Die Methfesselstraße jedenfalls ist für die Double-X-Belegschaft keine Alternative. „Deren Zielgruppe geht von 6 bis 16“, erklärt Brambach, „Jugend ist aber nicht mit 16 zu Ende.“

Dass gerade im Jugendbereich gespart werden soll, werden sie auch dann nicht verstehen, falls ihre eigene Alternative klappen sollte. „Jugend- und Mädchenarbeit setzt wichtige Impulse für die Geschlechterdemokratie“, meint Brambach. „Mit dem Double X geht ein Ort der politischen Diskussion verloren.“ Ebenso wie die Theaterbühne. Dort gäbe es zumindest die Chance auf eine wundersame Wandlung. Im Märchenskript der Theatergruppe ist sie vorgezeichnet: Die strenge Mutter wird unter einem Wunderbaum zu einer toleranten Freundin. Sogar einen Urlaub spendiert sie. „Alles ein bisschen surreal“, sagt Bierbaum und lächelt. Wer weiß, vielleicht wächst ja auch im Viktoriapark vor der Villa Kreuzberg ein kleiner Wunderbaum.

Klebba: „Die Proteste der Mitarbeiter von Double X kann ich nachvollziehen. Schließlich haben sie ihre Einrichtung mühevoll aufgebaut. Nichtsdestotrotz gibt es die Haushaltssperre. Aufgabe des Bezirks ist es nun, für eine ausgeglichene Angebotsstruktur im Gesamtbezirk zu sorgen. Wir brauchen mehr Bürgerengagement. Die Bezirksregierung fühlt sich dennoch weiter in der Verantwortung. Wir sehen uns als Mittler, um Träger oder Initiativen zu ermutigen, sie mit unserer Erfahrung in der Jugendarbeit zu unterstützen und gemeinsam Konzepte zu erstellen. Unsere Verantwortung wird vor allem die Koordination sein.“

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