Endlos tiefer Kopfsumpf

Die Woche der Verlängerung: Naddels Haar-Extension und die gesellschaftlichen Folgen

„Ich halte Haarverlängerungen für einen Auswuchs unserer Zeit“, erklärt Experte Egner

Eine Reunion, die zu den bewegendsten Comebacks des 20. Jahrhunderts zählt, schildert das bis dato dackeligste und lackeligste Buch des 21. Jahrhunderts, die Autobiografie des mehrfach penisbruchgeplagten Musikmuckers Dieter Bohlen: „ ‚Lass uns nie wieder auseinander gehen!‘, hatte ich zu Nadja gesagt, kaum dass Verona die Villa Rosengarten geräumt hatte. Worte können gar nicht ausdrücken, wie sehr ich Naddel nach Verona brauchte.“

Drei kurze Absätze später findet Katja Diekmann, Ghostwriterin von Herrn Bohlen und Frau des Bild-Chefredakteurs Kai Keßler, trotzdem Worte, die „es“ ausdrücken können: Es „nahm Naddel wieder ihren Cowboyhut, ich nahm meinen, und gemeinsam stiefelten wir in den Garten“.

Unter Naddels Cowboyhut aber wütete schon, so erzählt es die nächste Seite, „ein Kopf-Virus, der sie gepackt hatte“, und allmählich sprang dieser rabenschwarze Kopfvirus, wie wir Seite 266 entnehmen, auch auf den schwänzelnden Bohlen-Boy über – vor allem dann, wenn Cowgirl und Cowkopf abends auf dem Sofa saßen und die rosenrote Sonne schlaff am Horizont hinter der endlos weiten, prärieprotzigen Tötensener Ranch untergehen sahen: „Unsere Beziehung war ins Koma gefallen. Naddel machte ihr Ding, ich machte mein Ding. Sie pichelte, ich powerte.“

Mit natürlicher Penisverlängerung lief da also nicht mehr viel. Ein böses Omen für Naddels Obenrum- und Dieters Untenrumverfall mag jener Vorfall gewesen sein, den eine – mittlerweile per Gerichtsentschluss geschwärzte – Stelle auf Seite 265 schonungslos entblößt. Es geht da um Naddels komplette Kopfverrohung: „Naddel wurde immer mehr so die Abteilung Schlumpf-di-pumpf: Sie ließ sich immer mehr gehen. Ihre Haare, die seit jeher sehr empfindlich und pflegebedürftig gewesen waren, hingen kaputt herunter. Die hatte Reza Homann auf dem Gewissen, ein berüchtigter Visagist, der ihr beim Extensions-Anschweißen fast die Haarwurzeln weggeschmurgelt hatte. Jetzt waren die Locken nachhaltig versaut.“

Soweit ich es als vereidigter Feldbusch- und Naddel-Romanbiograf bezeugen darf, hat zwar Naddels edlen Schädel niemals nur die Spur einer Locke geziert, doch das tut hier wahrlich nicht viel zur Sache; sondern der Zusammenhang zwischen Liebeskatastrophe und Haarverlängerung scheint mir wahrhaft signifikant. Wofür, das weiß ich noch nicht. Ziehen wir also Experten zu Rate, um die Fragen zu beantworten: Worin liegen die Chancen und die Risiken der Haarverlängerung? Wer braucht eine Extension des Schopfes? Derjenige, der sich münchhausenesk an ebendiesem aus dem selbst verschuldeten Kopfsumpf zu ziehen gedenkt?

„Haare sind wichtig, was hat man denn sonst? Vor allem lange Haare! Sie haben mir zweitausend Mal das Leben gerettet“, teilt mir der Wuppertaler Haarforscher Eugen Egner telefonisch mit. Ob er mal an eine Haarverlängerung gedacht habe, frage ich. „Ich habe mit 51 zwar nicht mehr so viele lange Haare, und eigentlich geht es noch. Aber im Ürigen halte ich Haarverlängerungen für einen Auswuchs“, entgegnet Egner, „da würde ich mir lieber ’nen Hut aufsetzen. Haarverlängerung ist doch typisch für unsere Zeit: Man will alles sofort haben! Eine infantile Gesinnung! Die Frisur soll der Naturschwerkraft gehorchen, und zwar möglichst lang.“ Egner schnauft. „Das ist doch alles scheiße“, brummt er, „wenn man ’ne Glatze kriegt, muss man sich erschießen. Gegen so einen Teufelsentschluss Gottes ist kein Haar gewachsen.“

Auch der Frankfurter Dichter Michael Tetzlaff hält Haarverlängerungen für ethisch unlauter. Sein Rezept: „Wer laut genug E-Gitarre spielt, verlängert seine Haare automatisch.“

„Ich hab Haarverlängerungen immer für unter meiner Würde befunden“, ergänzt Egner und grübelt: „Nimmt man da Haare aus dem Friseurmüllkübel? Oder nur eigene? Aber die müssten ja erst wachsen. Was ein Widersinnsgewichse!“

Ein Ende der Diskussion über die Haarverlängerung (kurz: HV) ist nicht in Sicht. Im Kasus Naddel vs. Bohlen schob sich zwischen HV und GV allerdings noch das Problem der ZBGrG. „Ihr war das so egal“, gelt Bohlens Buch, „ob ihre Zähne braun, grün oder gestreift waren.“

Vielleicht hätte sich Naddel Strähnen machen lassen sollen. Dann wären ihr die Haare auf den Zähnen erspart geblieben.

JÜRGEN ROTH