: Sparen tut weh, liebe Wähler!
von REINER METZGER
In einer klassischen Notsituation steckt Ihre Bundesregierung samt dem Schatzmeister Hans Eichel: Sie gibt mehr aus als sie einnimmt, in diesem Jahr geschätzte 35 Milliarden Euro, etwa 14 Prozent des gesamten Bundeshaushalts. Und alle denkbaren Gegenmaßnahmen verschlimmern entweder kurzfristig die Situation oder sind nicht durchzusetzen. Die Steuern erhöhen? Ist gerade passiert und würgt die Konjunktur schon genug ab. Arbeiter und Angestellte zahlen eh schon reichlich Steuern und die Wohlhabenden konnten sich einer hohen Besteuerung immer entziehen – genauso wie die gut verdienenden Großkonzerne im Lande. Also bei den Armen sparen, bei Sozial- und Arbeitslosenhilfe? Wer da zu viel quetscht, sprengt den Sozialstaat und kommt mit der Verfassung in Konflikt. Außerdem wird bei den Arbeitslosen schon durch die Vorschläge der Hartz-Kommission gekappt, und es reicht trotzdem hinten und vorne nicht. Wie also Einnahmen und Ausgaben zusammenbringen? Jede mögliche Maßnahme betrifft Sie, lieber Wähler. Wie hätten Sie’s denn gern?
1. Sie wollen das Defizit bei den Renten verschwinden lassen. Trotz der kommenden Erhöhung der Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent des Bruttoarbeitseinkommens rechnet der Verband deutscher Rentenversicherungsträger schon für das nächste Jahr mit einem erneuten Defizit von 4 Milliarden Euro. Was tun? Als Erstes denkt jeder daran, den derzeitigen Rentnern etwas abzukappen. Betrifft aber 17 Millionen Wähler und ist damit politischer Selbstmord. Wesentlich schlauer ist da schon, die Zahl der Rentner zu verringern, indem die Rente später beginnt. Vorschläge gibt es mehrere: mit steigender Lebenserwartung in einem ersten Schritt auf 67 Jahre (Arbeitgeber und Handelskammern) oder gar auf 70 Jahre (FDP-Vorstand Brüderle in der Bild-Zeitung). Dann müssten Sie, lieber Wähler, aber länger schuften. Jedes Jahr länger arbeiten würde laut Berechnungen um 1,3 Prozentpunkte niedrigere Beiträge für die Arbeitnehmer bedeuten. Das Problem: Derzeit liegt das wirkliche Renteneintrittsalter im Schnitt eher bei 62 als bei 65, weil viele zwangsverrentet werden (von Arbeitgebern) oder keine Lust mehr haben. Um das Eintrittsalter schnell zu erhöhen, müsste die Frührente zu stärkeren Einbußen bei der Rentenhöhe führen. Außerdem sind viele zu krank, um länger zu malochen.
2. Sanieren Sie das Gesundheitssystem. Hier ließe sich viel sparen, immerhin sind die Medikamentenpreise in Deutschland mit die höchsten in der EU. Außerdem wird von den Krankenkassen die Prävention systematisch gegenüber der Behandlung von Symptomen vernachlässigt. Andererseits bringt Eichel der ganze Streit mit Ärzten und Pharmakonzernen direkt nichts: Der Etat des Bundesgesundheitsministeriums beträgt in diesem Jahr nur 1,4 Milliarden Euro. Ob und wann sich niedrigere Krankenkassenbeiträge auf die Zahl der Arbeitslosen auswirken (Löhne billiger, Arbeitgeber stellen mehr ein), ist unklar und für die akute Schuldenkrise ein ferner Traum.
3. Schaffen Sie schnell Geld her über das Streichen von Subventionen. Fünf Milliarden Euro kriegen die Bauern und ihre Dörfer. Das ist aber auf Jahre hinaus festgelegt, teilweise in komplizierten EU-Verträgen. Vorteil: Die Bauern sind eine stark zusammengeschrumpfte gesellschaftliche Gruppe. Aber mit einer Massenpleite der Landwirte würde wohl auch die deutsche Kulturlandschaft dramatisch leiden.
Auch der deutsche Steinkohlebergbau kassiert. 3,7 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsministerium subventionieren die Kohle auf Weltmarktniveau herunter. Über Steuervorteile kriegt auch der umweltschädigende Braunkohletagebau ein hübsches Sümmchen ab. Dummerweise sind die Steinkohlehilfen bis 2005 vertraglich festgelegt. Und in ihrer jeweiligen Region sind die etwa 70.000 Kumpel sehr beliebt und ein Wirtschafts- und Machtfaktor.
Schnell zu streichen sind die Entfernungspauschalen. Jeder Pendler kann neuerdings bis zu 40 Cent pro Kilometer Weg zur Arbeitsstelle von der Steuer abschreiben. Damit wird eine weite Anfahrt belohnt – widersinnig nicht nur unter Umweltgesichtspunkten. Trifft allerdings alle Arbeiter und Angestellte und damit die Hauptkonsumenten, die mit ihrem Geld eigentlich das Wirtschaftswachstum fördern sollen.
4. Strecken oder streichen Sie Investitionen. Fünf Milliarden Euro gibt der Bund jährlich für die Forschung – ist aber letzte Reserve, weil immerhin eine der sinnvollsten Zukunftsinvestitionen überhaupt.
Dann eher den Verkehrshaushalt angehen, mit seinen Sachausgaben von 24 Milliarden Euro der größte Investitionsbrocken überhaupt. Betroffen von Kürzungen sind aber weite Teile der Bevölkerung: Ossis wollen neue Autobahnen, Wessis neue Umgehungsstraßen und größere Flughäfen, die Industrie will alles größer und die Umweltschützer wollen mehr Bahnstrecken.
5. Schaffen Sie das Militär ab. Kostet im Jahr 2002 immerhin 23,6 Milliarden Euro, davon 12,5 Milliarden für das Personal, sieben für Militärgerät. Da alle politischen Parteien für weitere Auslandseinsätze bis nötigenfalls hin zum Krieg sind, wird es aber nichts mit Sparen bei der Bundeswehr – sie soll im Gegenteil modernisiert werden, was Geld kostet.
6. Greifen Sie die Beamten an. Hier laufen gerade die Tarifverhandlungen und jeder Finanzminister aus Bund und Land hofft auf möglichst niedrige Ausgaben für den öffentlichen Dienst. Es ist ein Riesenposten, jedes Prozent Lohn kostet Länder und Gemeinden 2 Milliarden Euro. Der Bund allerdings gibt insgesamt „nur“ 27 Milliarden für Personal aus, davon 6,5 Milliarden für Pensionen und Renten. Drei Prozent mehr oder weniger Sold oder Pension machen für Eichel also nicht einmal 1 Milliarde Euro aus. Die Probleme dieses Mannes liegen in anderen Größenordnungen. Und die Zahl der öffentlichen Bediensteten verringern? Dauert bei deren Kündigungsschutz Generationen.
7. Was bleibt Ihnen? Keine der obigen Möglichkeiten ist schön, vor allem nicht, wenn Sie selbst betroffen sein sollten. Nun verstehen Sie hoffentlich, warum Eichel tun muss, was er bald tun wird: Einen Nachtragshaushalt ins Parlament einbringen und ein paar Dutzend Milliarden neue Schulden machen.
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