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„Zu teuer und zu gefährlich“

Israels Wirtschaft am Abgrund: Infolge des Krieges schrumpft die Ökonomie, die Zahl der Unternehmenspleiten und der Armen nimmt zu. Der Tourismus liegt darnieder: Hotel-Übernachtungen sind auf das niedrige Niveau von 1966 gesunken

aus Jerusalem ANNE PONGER

Man muss kein Wirtschaftsexperte sein, um zu merken, dass viele Israelis darben. An Supermarktausgängen bitten Kinder neuerdings Käufer mit gefüllten Einkaufstaschen um Essen für ihre bedürftigen Familien. Menschen, die in Mülltonnen nach Verwertbarem wühlen, sind keine Seltenheit mehr. Lehrer bezeugen, dass immer mehr Kinder ohne Pausenbrot in die Schule kommen und kein Geld für die Busfahrt haben.

In den Zentren von Jerusalem, Tel Aviv und Haifa stehen jede Menge Läden zur Vermietung. Die Fenster von Hotels in Jerusalem und Tel Aviv sind dunkel. Die Zahl der Hotel-Übernachtungen ist auf das Niveau von 1966 gesunken – bei fünfmal so vielen Zimmern wie einst. Das Ausbleiben von Touristen hat nicht nur Rezeptionisten, Zimmermädchen und Kellner auf die Straße geschickt, sondern lässt auch Busunternehmer, Taxifahrer und Tour-Guides, Postkarten- und Andenkenhändler ohne Einkommen. Auch Cafés und Restaurants sind vom Touristenmangel betroffen. Ausgehen und Einkaufen ist aber auch für Israelis nicht mehr attraktiv. „Zu gefährlich, zu teuer“, sagen viele.

Die wirtschaftlichen Daten sprechen eine klare Sprache. Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds wird Israels Wirtschaftsentwicklung auch dieses Jahr mit minus 1,5 Prozent wieder negativ sein, nachdem das Wachstum im Jahr 2000 noch 6,2 Prozent betrug, trotz Intifada-Beginns Ende September. Der Absturz begann gleich nach dem Regierungsantritt von Premierminister Ariel Scharon und seiner Likud-Partei. Der Lebensstandard sank 2001 bis 2002 um 6 Prozent auf das Niveau der 50er-Jahre. Nach dem gerade veröffentlichten Jahresbericht 2001 über die Armut im Lande lebten im Vorjahr bereits nahezu 20 Prozent Israelis unterhalb der Armutsgrenze, die monatlich bei knapp 600 Euro für ein Paar, knapp 1.000 Euro für eine Zwei-Kinder-Familie liegt. Preise für Wohnungen, Lebensmittel und Bekleidung sind in Israel oft doppelt so hoch wie in Europa, bei wesentlich niedrigeren Gehältern. Nach den im Haushaltsentwurf 2003 vorgesehenen Kürzungen von Sozialhilfen dürfte die Zahl der Armen nächstes Jahr auf fast 22 Prozent ansteigen.

Wer Geld hat, schafft es ins Ausland. 2,6 Milliarden Dollar wurden im ersten Halbjahr 2002 außerhalb Israels investiert, mehr als doppelt so viel wie in derselben Periode im Vorjahr. Ausländische Firmen haben ihre Investitionen im selben Zeitraum um 1,4 Millarden Dollar reduziert. Die Arbeitslosenzahl stieg auf 274.000 – eine nie gekannte Höhe von 10,7 Prozent. Ein Drittel aller selbstständigen Betriebe steht vorm Bankrott: 50.000 werden vor Jahresende schließen, nachdem im Vorjahr 30.000 kollabierten.

Parallel dazu sind die Verteidigungslasten seit zwei Jahren immens gestiegen. Sie sollen 19 Prozent der auf 270 Milliarden Schekel (rund 60 Milliarden Euro) geschätzten Staatsausgaben für 2003 ausmachen. Seit Beginn der Intifada, die mit groß angelegten Militäroperationen bekämpft wird, sind verstärkt Reservisten bis zum Alter von 40 Jahren für jeweils 30 Tage im Einsatz, deren Verdienstausfall kompensiert werden muss.

Anlass für den Auszug der Arbeitspartei aus Scharons großer Koalition war der Vorwurf der ungerechten Verteilung des Budgets: enorme Zuwendungen an die Siedler in den besetzten Gebieten auf Kosten von Unterstützung der sozial schwachen Gruppen im Lande. Finanzminister Silvan Schalom konterte, von den Kürzungen für Rentner und alleinerziehende Mütter seien alle, auch die Siedler betroffen. Ein zweifelhaftes Argument: Zwar gibt es kein „Siedlungs-Ministerium“, doch ist die millionenschwere Unterstützung der Siedlungen im Budget zahlreicher Ministerien versteckt.

Hauptgrund für den drohenden Zusammenbruch der israelischen Wirtschaft ist zweifellos Scharons Politik. Zwar begannen die Probleme auf den Weltmärkten Mitte des Jahres 2000, doch wurden Israels wirtschaftliche Schwierigkeiten durch Scharons Prioritätensetzung und den Einsatz militärische Gewalt verschärft.

Vor Neuwahlen fragt sich, wie weit das Volk den Zusammenhang zur wirtschaftlichen Misere versteht. Neuesten Umfragen zufolge nicht: Fänden die Wahlen heute statt, könnte der Likud 33 statt derzeit 19 Mandate in der 120-köpfigen Knesset erhalten, während die Arbeitspartei von 25 auf 19 absacken würde. Der Wahlkampf der Arbeitspartei wird deshalb die Verbindung zwischen kompromissloser Politik und Wirtschaftsnot deutlich machen und die Wiederbelebung des Friedensprozesses als Alternative anbieten.

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