: Heimspiel für den Kandidaten
Die Eröffnung des Oktoberfestes wird zur letzten Bühne für den Kandidaten Stoiber. Die Gewalt am Rande des Fests wird auch von Rot-Grün als Randerscheinung hingenommen
BERLIN taz ■ Bundestagswahl? Oder gar Wahlkampf? Nicht bei uns, haben die Wirte des Oktoberfestes beschlossen. „Die Wiesn ist am ersten Sonntag des Festes – also dem Wahlsonntag – politikfreie Zone“, hat das Münchner Fremdenverkehrsamt offiziell verkündet, und daher wird es auf der Theresienwiese weder Übertragungen noch Durchsagen zu den Ergebnissen geben. Mit einem triumphalen Einzug eines frisch gebackenen Bundeskanzlers Edmund Stoiber ist am Sonntagabend auch nicht zu rechnen – da weilt er in Berlin.
Doch die letzten beiden Termine vorm Abflug in die Hauptstadt hat der Ministerpräsident für seine ureigene Bühne reserviert. So wird er am Samstag um 12 Uhr beim Anstich dabei sein. Am Sonntag beim großen Trachten- und Schützenumzug wird Stoiber seinen Untertanen noch ein letztes Mal zuwinken, bevor er in die weite Welt hinauszieht.
Dass damit dann Schluss mit Stoiber ist auf der Wiesn, gilt als unwahrscheinlich. Denn sollte er die Wahl gewinnen, wird es sich der erste bayerische Kanzler kaum nehmen lassen, sich ein paar Tage später in der bierseligen und aufgeheizten Stimmung eines Festzeltes so richtig als Volksheld feiern zu lassen.
Falls er verliert, wird eben gefeiert, dass den Bayern ihr Edi erhalten bleibt. Das Oktoberfest wird in jedem Fall stattfinden. In München sieht man es ohnehin eher unter dem Gesichtspunkt einer Rückkehr in die Normalität. Vergangenes Jahr wurde nach dem 11. September bis zum letzten Moment eine Absage diskutiert, dann verzichtete man – eigentlich undenkbar – zumindest auf den Anstich und die Blasmusik mit der Folge, dass die Besucherzahlen einbrachen.
Nun aber soll, abgesehen von weiterhin verschärften Sicherheitsvorkehrungen, alles so sein wie früher: Die Kapellen sorgen für das nötige Humptata, die Maß wird wie immer teurer und kostet jetzt schon 6,80 Euro, die Schwulen und Lesben treffen sich am ersten Festsonntag im „Bräurosl“, die zweit- bis drittklassige Prominenz dagegen jeden Tag im schicken Käferzelt. Die Wiesnwache der Polizei wird, wenn man die Erfahrungen der letzten Jahre hochrechnet, wieder 1.700 Bierleichen einsammeln, unzählige Sachbeschädigungen um die Theresienwiese herum feststellen, bei 200 Schlägereien eingreifen, mindestens zehn Vergewaltigungen und gut viermal so viele sexuelle Übergriffe feststellen. Doch diese Bilanz wird auch von der rot-grünen Stadtregierung als mehr oder weniger unvermeidliche Randerscheinung angesehen.
Anders sähe es aus, würde man allen Besuchern die Haare bunt färben, statt Blasmusik Punkrock spielen und das Ganze statt Oktoberfest einfach „Chaostage“ nennen. Dann würde die Veranstaltung vermutlich nach wenigen Stunden aufgelöst und verboten. JÖRG SCHALLENBERG
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