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Ein Grüner gegen Napoleon

Eine „Inszenierung von oben“ nennt Ludger Volmer die Kampagne zur Wiederwahl der Grünen-Chefs Kuhn und Roth. Kritiker glauben, das Spitzenteam verliere zunehmend das Gefühl für die Partei

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Je kategorischer die grüne Spitze von der Partei die Wiederwahl der Vorsitzenden Claudia Roth und Fritz Kuhn fordert, desto hörbarer rührt sich Widerstand. Jetzt kritisiert erstmals ein Bundestagsabgeordneter offen das Vorgehen des Spitzenteams als „Inszenierung von oben“. Die Grünen wollten „sich aber nicht als Partei von oben inszenieren lassen“, sagte Ludger Volmer gestern der taz. Volmer, der bis zur Wahl Staatsminister unter Joschka Fischer war, kritisierte: „Bonapartistisches Auftreten entspricht nicht der Mentalität der Partei.“ Der Parteienforscher Joachim Raschke hatte mit dem Schlagwort von „Joschka Fischers Bonapartismus“ Tendenzen der Alleinherrschaft im Stile Napoleons karikiert.

„Wenn man quasi ultimativ alles auf eine Karte setzt, dann trägt man auch die Verantwortung, wenn alles zuschanden geht“, warnte Volmer. Kuhn und Roth streben auf dem Parteitag am 7. Dezember eine Ausnahme von der Satzung an, sodass sie bis zum Ausgang einer Urabstimmung Bundestagsmandat und Parteivorsitz behalten dürfen. Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck hatte am Mittwoch weitere Kompromisse abgelehnt: „Wenn man richtig kämpft, dann diskutiert man keinen Plan B.“

Volmer setzte dagegen: „Wenn man in einer so grundlegenden Frage Mehrheiten in der Partei verschieben will, geht das nicht, indem man einfach nur auf Sieg setzt.“ Auf dem Parteitag im Oktober hatte die Satzungsänderung die erforderliche Zweidrittelmehrheit knapp verfehlt. „Die Partei fühlte sich unter Druck gesetzt“, hat auch die Abgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig beobachtet. Besonders alarmierend für die Parteiführung: In der Sache gehören Volmer wie Eichstädt-Bohlig zu den Unterstützern einer Satzungsänderung.

Die Berliner Spitzen der Grünen hätten das Gefühl für die Partei verloren, bilanziert eine Abgeordnete, die sich nicht outen will. „Das Frühwarnsystem funktioniert nicht mehr“, seit alle Macht im Siebenerteam aus den Partei- und Fraktionschefs sowie den drei Ministern konzentriert sei. „Wer nicht im Spitzenteam ist, hat im Grunde genommen kaum mehr die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen“, sagt auch Volmer. Seine Kritik ist grundsätzlich: Bei den Grünen regiere „ein Drehbuch“, das dem einzelnen Politiker nur noch erlaube, „sich im Rahmen seiner Rolle“ zu bewegen.

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