: Flügellahme Schmetterlinge
aus Mombasa ILONA EVELEENS
Das azurblaue Wasser schimmert im Sonnenlicht, die Palmen auf dem Strand biegen sich im Wind, der vom Indischen Ozean herweht. Auf der Terrasse der Aloha Bar hängen Isabel und Betty in ihren Stühlen und starren unbeteiligt aufs Meer. Die beiden Frauen sind erschöpft. Die ganze Nacht waren sie auf den Beinen, jetzt wollen sie nur noch eins: ins Bett. „War wieder nichts heute nacht“, murmelt die 28-jährige Betty. „Keine von uns hat einen Mann aufgerissen.“
Isabel und Betty sind „Schmetterlinge“. So nennen sich die Prostituierten, die in Kenias Touristenorten am Meer arbeiten. Ihre Zielgruppe sind Ausländer mit gut gefülltem Portmonee. Am liebsten wollen sie auch gleich geheiratet werden – um aussteigen zu können aus dem Job. Betty schaukelt in ihrem Stuhl hin und her. Sie ist high von Bhangi, wie Haschisch hier heißt. Die Droge ist zwar in Kenia verboten, aber einfach und billig zu bekommen. „Wie soll ich das sonst packen“, sagt sie. „Es ist wahrlich kein Spaß, immer wieder auf die Jagd zu gehen. Zwei Jahre mach ich das schon, und noch immer habe ich mir keinen geangelt.“
Die Aloha Bar, 15 Kilometer nördlich von Mombasa, ist einer ihrer Arbeitsplätze. So früh morgens sind noch keine Ausländer da. Das Personal schrubbt den Boden und wischt die Tische ab. Neugierig schaut es auf die beiden Frauen, die sonst nie um diese Uhrzeit hier sind. Der schwache Kaffee verfehlt seine Wirkung, gähnend ziehen Isabel und Betty daher heim: Betty in schwarzen, engen Hosen und Bikinitop, Isabel in einem kurzen Rock und in durchsichtiger Bluse. Weit brauchen sie nicht zu gehen, sie überqueren nur eine viel befahrene Straße. Auf der einen Seite stehen die Luxushotels, auf der anderen die Holzverschläge der Armen.
Hier teilen sich die beiden Frauen ein kleines Zimmer mit Freundinnen. Einen Blick aufs Meer gibt es hier nicht, nur die Holzwände der Nachbarhäuser. Abfallhaufen türmen sich in den engen Gassen. Das Badezimmer ist ein Eimer Wasser, die Toilette ein Loch in der Erde. Am Abend, wenn die untergehende Sonne den Horizont lila färbt und der Strand den Krabben überlassen bleibt, kommen Isabel und Betty aus ihren Wohnungen: ausgeruht und aufgestylt für die Nacht.
Ihr erstes Ziel: eine Diskothek. In einer Ecke der ansonsten leeren Tanzfläche bewegen sich junge Mädchen zum Rhythmus der Musik, dutzende andere sitzen an Tischen. Die einzigen männlichen Besucher sind acht britische Soldaten, die sich an der Bar voll laufen lassen. „Hier haben wir keine Chance, die Konkurrenz ist zu groß“, urteilt Betty. „Das sind keine Frauen, sondern Kinder. Und Männer bevorzugen nun mal junges Gemüse.“
Weiter geht’s in eine Hotellobby, die in sanftes Licht getaucht ist. Von der Strandterrasse her weht eine angenehm kühle Brise. Betty und Isabel schauen sich kurz die Gäste an. Offenbar ist niemand Passendes dabei, denn nach einem kurzen Blick auf die beiden Frauen setzen die männlichen Gäste ihre Gespräche fort. Isabel macht sich Sorgen über ihr Alter. Vor kurzem wurde sie 30. „Ich würde mein Geld lieber anders verdienen. Aber ich kann das Nachtleben nicht aufgeben. Nach afrikanischer Auffassung fange ich an, alt zu werden. Es ist höchste Zeit, zu heiraten, und ich möchte nun mal am liebsten einen Ausländer. Die lassen einen nicht so schnell im Stich.“
Isabel kommt vom anderen Ende Kenias. Ihr Elternhaus stand am Ufer des Victoriasees im äußersten Westen des Landes. Mit 14 wurde sie schwanger, und der Vater ihrer Tochter ließ sie sitzen. Sie musste von der Schule, um für sich selbst zu sorgen. Sie zog nach Mombasa. Kurze Zeit arbeitete sie für die Stadtverwaltung, doch dann wurde sie entlassen. Ihr Versuch, ein Geschäft für gebrauchte Kleidung aufzubauen, scheiterte. Dann brachte eine Freundin sie auf die Idee, als „Schmetterling“ anzufangen.
Für diesen Beruf scheint die schüchterne Frau völlig ungeeignet zu sein. Trotzdem hatte Isabel vor zwei Jahren die berechtigte Hoffnung, das große Los gezogen zu haben. Sie zeigt auf ihre edle Handtasche. „Die hat mir ein Holländer geschenkt. Kees-Jan kam dreimal im Jahr auf Urlaub nach Mombasa. Ich besuchte ihn sogar einmal in Holland. Nach zwei Jahren machte er plötzlich Schluss. Das tat weh. Ich liebte ihn.“ Isabels Augen werden feucht, sie wendet ihren Blick ab.
Geschichten über Prostituierte, die Ausländer heiraten und damit aus dem Elend ausbrechen, gibt es viele. Die Zurückgebliebenen klammern sich daran. Sie weigern sich, über die Ehen zu reden, die schief gingen. „Die meisten von uns heiraten Deutsche“, sagt Isabel. „Bei unseren männlichen Kollegen stehen Italienerinnen hoch im Kurs.“
Trotz ihrer Träume sind Isabel und Betty Profis. In Kenia wird in der Regel nicht öffentlich über Sex gesprochen, aber die beiden haben damit kein Problem. „Ich mache alles, was ein Kunde verlangt, nur keinen Analsex“, sagt Betty resolut und verzieht das Gesicht. „Wenn ein Kunde darauf besteht, kann er sein Geld zurückhaben.“ Kondome gehören zur Ausstattung. „Ohne ist gefährlich. Aids kennt keine Hautfarbe. Weiß oder Schwarz, jeder kann infiziert werden“, weiß Isabel.
Betty hat da so ihre Erfahrungen. Vor einem Jahr hatte sie einen Kunden aus Luxemburg, erzählt sie. Jeden Tag aufs Neue drängte der auf Sex ohne Kondom. Er bot ihr 250 Euro – ein kleines Vermögen in Kenia. „Das machte mich argwöhnisch, weil der Typ sonst eher geizig war. Als ich allein in seinem Hotelzimmer war, habe ich seine Sachen durchsucht. Ich fand jede Menge Medikamente. Da habe ich alles aufgeschrieben und bin damit zu einem Apotheker gegangen. Der sagte, dass er so teure Medizin gegen Aids nicht verkaufe.“
Nach diesem Vorfall sei sie nicht mehr zu dem Luxemburger gegangen, aber eben auch nicht zur Polizei. „Die ist korrupt. Ich muss denen regelmäßig eine Kleinigkeit geben, um ungestört meine Arbeit machen zu können. Ein Ausländer kann viel mehr Schmiergeld bieten, und letztendlich würde ich in den Knast kommen, nicht er.“
Manche Gäste in der Hotelhalle haben inzwischen mehr als reichlich getrunken. Betty und Isabel werden unruhig. Sie verabschieden sich und suchen einen Platz an der Bar. Ihre Körper bewegen sich langsam zum Rhythmus der Musik. Sie teilen sich eine Cola und schauen sich schweigend um. Kurz vor Mitternacht geht Betty auf einen älteren Mann zu. Sie fängt ein Gespräch an und legt hin und wieder ihre Hand auf seine.
Am nächsten Tag hat Betty schlechte Laune. „Alles an dem Mann sah teuer aus, also hatte er Geld. Er war weit über sechzig und Witwer. Der bekommt nicht mehr leicht eine Frau. Aber er wollte nur ein Getränk für mich bezahlen und ging schließlich allein ins Bett. Scheißaufwand!“
Auch Betty kommt aus Westkenia und schaffte es, trotz Armut zu Hause, die Schule und eine Ausbildung zur Sekretärin zu absolvieren. Sie bekam eine Stellung in der Hauptstadt Nairobi, und ihr Leben verlief glücklich – mit einem Freund und einem Kind. Aber alles ging schief, als sie ihren Job verlor. „Kurz danach ließ mein Freund mich im Stich, plötzlich hatte ich nichts mehr. Zum Glück bekam ich eine Stellung in Mombasa. Aber das dauerte nur so lange, bis eine andere Frau bereit war, für weniger Lohn meine Arbeit zu machen.“ Betty sah, wie andere Frauen in Mombasa ihr Geld verdienten, und folgte ihrem Beispiel.
Die Beziehungen, die Prostituierte mit Touristen eingehen, halten in der Regel für die Dauer eines Urlaubs. Manchmal kommen Kunden wieder und nehmen sich denselben Schmetterling. Meist ziehen die Prostituierten zu den Touristen ins Hotel. Die Kunden übernehmen alle Kosten. Nach zwei Wochen werden noch umgerechnet 70 bis 280 Euro als Gehalt gezahlt. „Die Männer, die ich mir aussuche, sind meistens älter“, erzählt Betty. „Die haben mehr Geld als die jüngeren. Sie sehen zwar nicht immer toll aus, aber ihr Geld macht vieles gut. Auch ist es rührend zu sehen, wie stolz sie sind, eine junge Freundin zu haben.“
Beide Frauen schwören: Dieses Jahr ist das letzte. Mit kindlicher Überzeugung meint Isabel: „Ich werde einen Mann finden und dann aussteigen. Ich werde mich ihm und unserer Familie widmen und diese Zeit so schnell wie möglich vergessen.“
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