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Der Alte will noch nicht abtreten

Exparteichef Jiang Zemin bleibt Vorsitzender der Militärkommission und behält so alle Fäden in der Hand. Und obwohl auch seine Anhänger wichtige Ämter erobern, könnte die neu-alte Führung gut funktionieren

PEKING taz ■ Kaum hatte der neue Parteichef Hu Jintao gestern seinen ersten großen Auftritt gehabt, wurde den Journalisten in der Großen Halle des Volkes eine Parteibroschüre in die Hand gedrückt. Ihr Titel: „Biografische Notizen zu den Führern des 16. Zentralkomitees (ZK) der Kommunistischen Partei Chinas“. An erster Stelle vor Hu Jintao erwähnt: Jiang Zemin, den die Website der offiziellen Volkszeitung am gleichen Tag für seinen Rücktritt aus ebendem ZK preist, dem er laut Broschüre immer noch als wichtigster Führer angehört.

So einfach ist das mit dem Machtwechsel in China also nicht. Zwar liegt die Broschüre insofern falsch, als der 13 Jahre als Parteichef amtierende Jiang dem ZK offiziell nicht mehr angehört. Doch bestimmte das vom 16. Parteitag der KP in dieser Woche neu gewählte ZK gestern nicht nur Hu zum neuen Generalsekretär, sondern bestätigte auch Jiang als Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission und somit als Oberbefehlshaber der Streitkräfte Chinas.

Damit scheint ausgeschlossen, dass Hu, dem im nächsten Frühjahr planungsgemäß das Amt des Staatspräsidenten von Jiang übertragen werden soll, in naher Zukunft auch das dritte höchste Amt der Volksrepublik, den Vorsitz der Militärkommission, übernimmt. Hu bleibt damit ein Führer unter höherer Aufsicht und mithin auf Abruf. Schon Deng Xiaoping setzte als Vorsitzender der Militärkommission in den Achtzigerjahren zwei Generalsekretäre der KP ab, bevor er sich für Jiang als Nachfolger entschied.

Dennoch wird Hu in Zukunft nicht mit Jiang um Einfluss ringen, sondern mit seinesgleichen im Ständigen Aussschuss des Politbüros, dem höchsten Entscheidungsgremium der Partei. Und schon gilt Zeng Qinghong, der zehn Jahre lang als rechte Hand von Jiang diente und gestern als Nummer fünf in den Ständigen Ausschuss einzog, als heimliche Zentrale der neuen Führung. Zeng werden weit gehende, wenn auch nicht weiter spezifizierte Reformvorstellungen für Wirtschaft und Politik nachgesagt. Er hat sich in mehreren Krisensituationen als vertrauensvoller Verhandlungspartner der US-Regierung erwiesen. Und er hat jetzt im Ständigen Ausschuss keinen bindenden Job wie Staatspräsident oder Premierminister, somit die Hände frei für langfristige Politik- und Personalkonzeptionen.

Wobei Zeng als Führer der von Jiang aufgebauten Schanghai-Fraktion eine Mehrheit der Stimmen im Ständigen Aussschuss hinter sich weiß: Außer ihm gehören der neue Parlamentschef Wu Bangguo (Nummer zwei), der künftige Vorsitzende der Konsultativkonferenz Jia Qinglin (Nummer vier), die Nummer sechs Huang Ju und die Nummer acht Li Changchun der Fraktion an.

Aus Sicht der Chinesen aber wird die Jiang-Truppe nahezu unkenntlich im Hintergrund agieren. Denn das neben der Parteiführung mit Abstand öffentlichkeitswirksamste Amt erhält die neue Nummer drei, Wen Jiabao, der im März die Nachfolge des populären Premiers Zhu Rongji antreten soll. Wen ist der große „Überlebende“ der 1989 mit der Studentenbewegung sympathisierenden Parteiführung um den damals gestürzten Generalsekretär Zhao Ziyang, der bis heute unter Hausarrest steht. Wie Zhu gilt Wen als kompetenter Supermanager, dem die Apparatschiks im Politbüro dankend alle wichtigen Aufgaben der Staats- und Wirtschaftsführung überlassen werden, um sich besser den eigenen Intrigen widmen zu können. Somit steigt Wen jedoch zum zentralen Garanten des für die Zukunft des Landes alles entscheidenden Wirtschaftswachstums auf. Dabei fehlt Wen das autoritäre, kompromisslose Auftreten des bisherigen Premiers Zhu. Er ist ein schmächtiger Typ, allenfalls 1,60 Meter groß, den sein gewitztes Lächeln auszeichnet.

Insgesamt aber könnte die neue Mischung in der Parteiführung stimmen: Eine starke, unangefochtene Mehrheitsfraktion, die den Machtapparat kontrolliert, und über ihr zwei intellektuelle Spitzen, von denen die eine (Wen) den Regierungsalltag beherrscht und die andere (Hu) geistig-ideologische Führungsqualitäten besitzt. Fragt sich nur, ob Jiang die Neuen auch machen lässt, wenn sie seine Vorgaben eines Tages nicht mehr befolgen. GEORG BLUME

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