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Porto Alegre kommt näher

Einst war die brasilianische Stadt hoch verschuldet. Dann durfte die Bevölkerung über den Haushalt mitentscheiden. Heute ist Porto Alegre das Vorbild für Bürgerbeteiligung. In Berlin interessiert immer mehr Leute, wie das funktioniert

Der Gedanke fasziniert: Nachdem die Politik die Stadt in die Pleite getrieben hat, könnten die Berliner Bürger nun einmal selbst entscheiden, wo gekürzt und gestrichen wird. Schwimmbad oder Schule, Tiergarten oder Theater – die Bevölkerung bestimmt, wie viel gegeben und genommen wird. Bisher ist der so genannte Bürgerhaushalt für Berlin nicht mehr als eine Idee – aber eine Idee, die anderenorts bereits erfolgreich ausprobiert wurde: in der brasilianischen Millionenstadt Porto Alegre.

Im haushaltspolitischen Entwicklungsland Berlin mehren sich die Stimmen, die diese positiven brasilianischen Erfahrungen auf die deutsche Hauptstadt übertragen wollen. Auf Einladung der „Europäischen Akademie für städtische Umwelt“ diskutierten nun Berliner Initiativen ihre Konzepte – gemeinsam mit einem Gast aus Brasilien.

Jose Clovis de Azevedo, Soziologieprofessor und Präsident der Universität Rio Grande do Sul, beschrieb den aus Berliner Sicht besonders spannenden Weg Porto Alegres von einer überschuldeten, korrupten und autoritär regierten Millionenmetropole zur weltweit bestaunten Modellstadt für Bürgerbeteiligung. 1989 gewann die linke Arbeiterpartei PT die Wahlen in der Stadt und suchte nach einer Methode, die knappen Mittel ohne großen bürokratischen Aufwand effektiv zu verteilen. Das Modell eines „partizipativen Haushalts“ entstand, eine „Kombination von repräsentativer und direkter Demokratie“, wie de Azevedo sagt.

In allen sechzehn Bezirken der brasilianischen Stadt finden jährlich große Bürgerversammlungen statt. In der ersten Runde formuliert die Bevölkerung ihre Bedürfnisse und wählt Delegierte. Diese bilden eine Prioritätenliste der anstehenden Aufgaben, die von einer zweiten Bürgerversammlung abgesegnet werden muss. Das letzte Wort hat das städtische Parlament.

Die Beteiligung sei zunächst schwach gewesen, sagt de Azevedo, doch durch ständige Information der Bevölkerung und die positiven Erfahrungen mit dem Bürgerhaushalt seien immer mehr Menschen dazugekommen. Heute, schätzt de Azevedo, nehmen etwa 300.000 der 1,3 Millionen Einwohner an dem gesamten Prozess inklusive aller beteiligten Bürgergruppen teil. Auch seinen eigenen Arbeitsplatz verdankt de Azevedo dem Bürgerhaushalt: Die Gründung seiner Universität wurde von der Bevölkerung beschlossen.

Als der Berliner Stadtplaner Frank Baumann von den brasilianischen Erfahrungen erfuhr, war er so begeistert, dass er im März die „Arbeitsgemeinschaft Bürgerhaushalt Berlin“ gründete. Mit viel Elan und noch mehr Idealismus plante die AG zunächst, schon bei der Aufstellung des Haushalts für 2004 die Bürgerbeteiligung zu erproben – und musste erfahren, wie gering der Spielraum ist: So beträgt der frei verfügbare Anteil der Investitionsausgaben am Berliner Haushalt gerade mal 0,1 Prozent. In der Berliner Politik und Verwaltung herrsche außerdem die Angst vor Machtverlust, sagt Baumann: „Dort gibt es zum Teil die Stimmung: Wer sich zuerst für Bürgerbeteiligung ausspricht, wird erschossen.“

Die Arbeitsgemeinschaft will nun in gemeinsamen Workshops Politiker und Verwaltungsfachleute überzeugen, dass der Bürgerhaushalt sie nicht bedroht: „Die Menschen übernehmen Mitverantwortung, und die Akzeptanz der Politik steigt.“

Schon gestiegen ist die Akzeptanz des Bürgerhaushalts: Berliner Initiativen von Attac bis Mehr Demokratie e. V. treffen sich an diesem Samstag um 14 Uhr im Haus der Demokratie zum Thema „Bürgerhaushalt – wie geht das?“. Und die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung will im Januar das Modell von Porto Alegre mit zunächst 20 Bürgern am Berliner Haushalt durchspielen. Als „Testlauf“, wie es heißt.

THOMAS GOEBEL

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