„Schüssel, Schüssel, Schüssel. Na, das ist zu wenig“

Der Spitzenkandidat der Grünen in Österreich, Alexander van der Bellen, über Lockrufe der Konservativen, die Aussichten für Rot-Grün und die schwierige Haushaltssituation

taz: Bei diesen Wahlen geht es auch um gesellschaftspolitische Weichenstellungen. Besonders im Justizbereich gab es doch rückwärts gewandte Reformen und Drohungen von Demokratieabbau. Warum ist davon jetzt so wenig die Rede?

Alexander van der Bellen: Hauptsächlich weil die FPÖ Suizid begangen und Haider persönlich die Regierung gesprengt hat. Unseren Angriffen gegen Justizminister Böhmdorfer und gegen Haider selbst wurde die Spitze gebrochen, weil die FPÖ sich im freien Fall befindet.

taz: Sie haben gemeint, die ÖVP sei im Lauf der Zusammenarbeit mit der FPÖ „blau angelaufen“. Glauben Sie, dass in einer eventuell von Kanzler Schüssel geführten Koalition mit der SPÖ derselbe konservative Wind wehen wird wie bei Blau-Schwarz?

Die ÖVP ist eine regierungserfahrene Partei und über die Jahrzehnte mit einem gewissen Zynismus ausgestattet, was Anpassungsfähigkeit an einen Regierungspartner betrifft. Das ist die gutwillige Interpretation. Meine Befürchtung ist allerdings, dass das erfolgreiche Werben um die FPÖ-Wähler – anders ist ja der dramatische Zuwachs der ÖVP in den Umfragen nicht zu erkären – für den Charakter der ÖVP auch die Folge haben wird, dass sie tatsächlich blauer wird. Die früher konservative christlich-soziale Volkspartei rückt ideologisch weiter nach rechts.

Die ÖVP warnt zwar vor Rot-Grün, gleichzeitig macht sie den Grünen immer wieder öffentliche Avancen. Was ist davon zu halten? Vielleicht doch eine zukunftstaugliche Paarung?

Ich finde, Rot-Grün ist die Alternative zu Schwarz-Blau. Der Fraktionschef der ÖVP, der Kollege Andreas Khol, macht es sich sehr einfach, wenn er für eine Zusammenarbeit von den Grünen das Abrücken von Punkten fordert, die wir nie vertreten haben: Angeblich wollen wir die Landwirtschaft zwangsökologisieren, die Lehrlingsausbildung abschaffen, unkontrollierte Sterbehilfe und was weiß ich noch an Gräueltaten, und dann sagt die ÖVP, wenn wir das nicht wollen würden, dann wäre doch Schwarz-Grün super. Das ist ein Gag, den ich mir merken muss. An der SPÖ kann man viel kritisieren: aber ganz programmlos ist sie nicht. Die ÖVP hat nur ein Programm: das heißt Schüssel, Schüssel, Schüssel. Na, das ist zu wenig.

Im September haben Sie noch gemeint, wenn Rot-Grün in Deutschland gewinnt, gibt das Auftrieb für Rot-Grün in Österreich. Ist das noch immer so?

Leider nicht. Der Wahlsieg im September von Rot-Grün hat natürlich die Hoffnung von Schwarz-Blau zunichte gemacht, Stoiber in Österreich einzusetzen. Dieser Effekt hat auch ein paar Wochen angehalten. Die schlechte Berichterstattung über die Regierungsverhandlungen und das, was herausgekommen ist, blieb hier natürlich nicht ohne Wirkung. Aber: nach den Daten von 2001 war die Steuer- und Abgabenquote in Deutschland um sage und schreibe mehr als 9 Prozentpunkte des Bruttoinlandprodukts niedriger als in Österreich. Jetzt erregt sich hier Blau-Schwarz mit ihren 45,7 Prozent Abgabenquote gegenüber 36,4 Prozent in Deutschland, dass dort die Steuern erhöht werden. Ich sage, die können in Deutschland noch viele Jahre die Steuern erhöhen, ohne uns einzuholen.

SPÖ und Grüne versprechen die Rücknahme vieler Belastungen und wollen das mit dem Budget für die nicht gekauften Abfangjäger finanzieren. Haben wir dieses Geld überhaupt?

Nein. Ich habe jetzt gezögert, weil die Grünen im Wahlkampf sehr zurückhaltend waren mit dem Versprechen, dass es Manna vom Himmel regenen wird. Die SPÖ ist hier viel großzügiger und FPÖ und ÖVP auch. Die budgetäre Situation ist sehr schwierig. Sie wird auch 2003 extrem schwierig sein und ich habe meine Zweifel, dass die von der SPÖ vorgeschlagenen Steuersenkungen die von ihr erwarteten konjunkturellen Wirkungen haben werden. Also die Budgetverhandlungen werden ein ganz kompliziertes Thema werden.

INTERVIEW: RALF LEONHARD