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Psychedelisches Flimmern

Ritt durch die Kunst- und Trashgrafik des 20. Jahrhundert: Chuck Sperry und Ron Donovan, die zusammen als „Firehouse“ das Artwork für zahlreiche Musiker gemacht haben, zeigen an zwei Tagen in der Scandia-Bar ausgewählte Rockplakate

von NILS MICHAELIS

Wer Wrestling bislang für regelloses Gaga-Treiben hielt, der kennt nicht jenes Mexican Wrestling, das die beiden Rock-Plakat-Künstler Chuck Sparrow und Ron Donovan in ihrer Heimatstadt San Francisco mitorganisieren. Mexican Wrestling funktioniert als hyperhysterische Travestie des American Way Of Life, nebst anhängiger Popkultur. „Auf der Bühne treten Figuren wie der maskierte Ku Klux-Clown und El Homo Loco gegeneinander an“, erklärt Sparrow, „der Ku Klux-Clown kommt mit einem brennenden Kreuz auf die Bühne, während El Homo Loco beginnt auf ihn einzuprügeln.“

Zunächst als Einzelkämpfer und seit 1997 unter dem Namen Firehouse, gestalten Sparrow und Donovan seit rund fünfzehn Jahren Plakate für Musiker von Fugazi, Jello Biafra, Mudhoney bis hin zu Mainstreamkünstlern wie Pearl Jam, Madonna oder den Backstreet Boys. Doch nicht selten drängt sich beim Anblick ihrer farbenstrotzenden Bilder der Eindruck auf, dass die Bands nur ein Vorwand sind. Firehouse-Plakate sind ein Ritt durch die Kunst- und Trashgrafik des 20. Jahrhunderts. Angefangen bei Jugendstil und Art Deco über die Ästhetik der Sex- und Pulpmagazine der 50er und 60er bis zu Punk- und Hardcore-Lay-Outs.

Das war einmal anders. Im New York der 80er schaute Sparrow kaum über den Tellerrand einer minimalen Punk-Ästhetik. Donovan, damals schon in San Francisco ansässig, fabrizierte Reagan-Wear, T-Shirts bei denen es eher auf griffige Slogans ankam als auf Stilfragen. Mit dem Umzug Sparrows nach San Francisco Anfang der 90er und dem Besuch der „Rock Art and Collectables“, einer der umfangreichsten Rock-Poster-Gallerien der amerikanischen Westküste, erweiterte sich dessen Perspektive.

Man begann die reiche Undergroundgeschichte San Franciscos zwischen Pop und Politik zu studieren: die Plakate von Ken Keseys Merry Pranksters, die Agitationskunst der Black Panther-Party, aufklärende Lay-Outs der Free Speech-Movement. Und schließlich die Plakatserien des legendären Fillmore Clubs in San Francisco, der Künstler wie Janis Joplin, Jefferson Airplane oder The Grateful Dead mit Hilfe psychedelisch flimmernder Poster ankündigte.

Außerdem trauten sich die beiden, die Erinnerung an einige Kindercomics aus dem Hinterkopf zu kramen. Sparrow: „Wallace Wood zeichnete so genannte Educational Comics. Eltern gaben sie ihren Kindern im guten Glauben, etwas für deren Bildung zu tun. Doch in Wirklichkeit ging es darin um pure Unterhaltung, um Horror, Science-Fiction und erstklassig gezeichnete Raumschiffe.“ Wer in den 50er und 60er Jahren der Kindheit entwuchs, auf den warteten einschlägig gestaltete Zeitschriften über frisierte Autos, Sex und Kriminalgeschichten. Sparrow: „Ich mag auch den Gothic-Stil der 50er Jahre. Wenn man sich heute die Bilder anschaut, hat man den Eindruck, dass da unbewusst sadistische Phantasien verhandelt werden. Ich benutze verschiedene Elemente aus dieser Zeit und versuche sie auf eine humorvolle Weise in meine Bilder einfließen zu lassen.“

Doch der Firehouse-Stil besteht nicht aus dem Zitieren grafischer Elemente. Weil sie ihre zum Teil metallisch schimmernden Farben per Siebdruckverfahren auftragen, leuchten Firehouse-Plakate wie die Sonne über San Francisco. Nur einmal benutzte man eine andere Technik: Als die Virgin Megastore-Kette ein Plakat für eine Ricky Martin-Record-Release-Party anfragte, griff man auf funkelnde Samtpartikel zurück. „Das ist echter Trash“, grinst Sparrow, „und daher passt es zu Ricky Martin. Es hat ihm sehr gefallen, denn ich hörte später, dass er das Plakat im Fernsehen, in der Oprah Winfrey-Talkshow, gezeigt hat. Wenn er den Humor verstanden hat, hat er Sportsgeist bewiesen. Aber vielleicht denkt er jetzt auch, er sei Jimi Hendrix.“

Eröffnung mit Doktor X (live), DJs Sideburns, Switzchblades + Fanboy Records DJ Team: heute, 20 Uhr; Ausstellung auch Sa, Scandia Bar (Gerhardstr. 7)

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