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Umstrittene Pestizidtests

Die Bayer AG will in den USA Pestizide direkt am Menschen testen lassen. Das Ziel ist, die nach Meinung der Industrie zu scharfen Grenzwerte für Pestizidrückstände in Lebensmitteln zu lockern. Das letzte Wort hat die amerikanische Umweltbehörde

von PHILIPP MIMKES

Bruce Turnbull aus Edinburgh in Schottland dachte, er würde an einem Pharmatest teilnehmen: „Die Krankenschwestern sprachen stets von einem Medikament. Vor dem Test erhielt ich zwar Informationsmaterial, aber die Fachausdrücke darin habe ich nicht verstanden.“

Turnbull war 1998 eine von 50 Testpersonen, die für einen Lohn von umgerechnet 1.100 Euro im Inveresk Research Laboratory eine Pille mit Azinphos-Methyl schluckten und daraufhin sieben Tage lang beobachtet wurden. „Wer vor Ablauf der Woche nach Hause ging, musste eine Strafe zahlen. Danach habe ich nie wieder von dem Institut gehört und bin auch nicht mehr ärztlich untersucht worden.“ Auch der Auftraggeber der Testreihe wurde den Probanden nicht mitgeteilt.

Erst vier Jahre später erfuhr Turnbull von Journalisten mehr über die Versuche: Azinphos-Methyl ist kein Medikament, sondern ein Pestizid aus der Klasse der Organophosphate, welches von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „hochgefährlich“ bezeichnet wird. Hinter der Untersuchung steckte der Leverkusener Konzern Bayer.

Für Bayer stand schon vor den Tests die Ungefährlichkeit der Untersuchung fest: „Die Ergebnisse dieser Studie werden bestätigen, dass der Einsatz von Azinphos-Methyl keine Bedrohung für Arbeiter oder Konsumenten darstellt“, hieß es in einem Schreiben an die Probanden. Turnbull hingegen fühlt sich betrogen: „Ich hatte damals den Eindruck, ich würde der Wissenschaft helfen. Stattdessen benutzt eine große Firma die Tests, um mehr Pestizide zu verkaufen, die am Ende auch noch in unserer Nahrung landen.“

Der Konzern ist weltweit größter Hersteller von Azinphos-Methyl. Der Wirkstoff wird hauptsächlich im Apfelanbau eingesetzt, aber auch auf Kirschen, Birnen, Blaubeeren und Pfirsiche gesprüht. Im Sommer dieses Jahres hatten die US-Behörden wegen zu hoher Belastung der Nahrung ein Auslaufen der Zulassung bis zum Jahr 2005 verfügt. In Deutschland ist die Anwendung des Pestizids nicht mehr erlaubt.

Bereits 1998 beantragte der Bayer-Konzern bei der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) eine Zulassung der schottischen Untersuchung für die Risikoanalyse von Azinphos-Methyl. Die EPA lehnte den Antrag zunächst ab und verwies auf den „Ban on Use of Human Pesticide Studies“ aus dem Jahre 1988. Damals hatte der Präsident der EPA ein generelles Verbot von Pestizidversuchen mit Menschen verhängt. Diese seien „unethisch und unnötig“.

Ende 2001 wurde der Konzern erneut bei der EPA vorstellig. Auf Druck der US-Regierung lehnte die Behörde den Antrag diesmal nicht rundweg ab, sondern musste gemeinsam mit der „National Academy of Sciences“ eine Kommission zur Bewertung solcher Tests bilden. Die Kommission kommt Mitte Dezember erstmals zusammen und soll Anfang nächsten Jahres eine Empfehlung aussprechen.

Hintergrund der Bemühungen von Bayer sind die nach Meinung der Pestizid-Industrie zu scharfen Grenzwerte. Bislang werden die Risiken von Pestiziden im Tierversuch ermittelt. Zur Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Mensch und Tier werden dann Sicherheitsfaktoren eingeführt. Nach neuen Verordnungen der EPA dürfen Kinder nur noch einem Tausendstel des Wertes ausgesetzt werden, der sich im Tierversuch als schädigend erwiesen hat. Durch direkte Versuche am Menschen will die Pestizid-Industrie eine Verminderung dieser Sicherheitsfaktoren erreichen.

„Unserer Meinung nach könnte der Sicherheitsfaktor halbiert werden“, spricht Bayer-Sprecher Peter Kraus den Wunsch der Hersteller aus. Kraus räumt ein, dass die schottische Studie aufgrund der wenigen Probanden „nicht repräsentativ“ sei. Dennoch verteidigt er die Studie: „Wir führen diese Tests im Interesse der Gesellschaft durch. Wir sind ein Teil der Nahrungskette, an deren Ende ein gesunder Apfel steht, nicht ein Apfel mit Würmern.“

Entsetzt darüber zeigt sich Carina Weber vom Pestizid Aktions-Netzwerk (PAN): „Untersuchungen zeigen, dass in Europa schon heute 39 Prozent der Lebensmittel Pestizidrückstände enthalten. Es ist völlig unakzeptabel, dass Menschen zukünftig auch noch als Versuchspersonen Pestizide schlucken, zumal mit dem Ökolandbau ein Produktionssystem zur Verfügung steht, in dem chemisch-synthetische Pestizide überhaupt nicht benötigt werden.“

Neben höheren Grenzwerten würde eine Neubewertung von Menschentests durch die US-Umweltbehörde den bislang weltweit respektierten Nürnberger Kodex von 1947 zu Fall bringen. Dieser resultierte aus dem Nürnberger Ärzteprozess und legte zum ersten Mal den Rahmen für Forschungen am Menschen fest. Demnach sind solche Versuche nur legitim, wenn „Ergebnisse für das Wohl der Gesellschaft“ zu erwarten sind.

Bislang ist international Konsens, dass nur medizinische Studien diese Bedingung erfüllen. Der Nürnberger Kodex ist zwar kein rechtlich bindendes Abkommen, Deutschland hält sich jedoch relativ eng an die Bestimmungen, so dass eine Zulassung der in Schottland durchgeführten Tests hierzulande unwahrscheinlich wäre.

Richard Dixon vom Umweltverband Friends of the Earth: „Es ist inakzeptabel, dass ein Chemiegigant wie Bayer hochgefährliche Pestizide an Menschen ausprobiert. Schlimmer noch aber ist der Versuch des Konzerns, das internationale Verbot solcher Tests auszuhebeln.“

Auch das Natural Resources Defense Council (NRDC), das zu den größten Umweltverbänden in den USA zählt, verurteilt das Ansinnen. Erik Olson, Sprecher des NRDC: „Es verwundert nicht, dass bei den Testpersonen keine Spätfolgen entdeckt wurden – schließlich gab es keinerlei Langzeituntersuchungen, die solche Schäden hätten feststellen können. Zudem gibt es starke Anhaltspunkte dafür, dass die Probanden nicht vollständig über Ziele und Risiken der Versuche informiert waren.“ Olsen befürchtet auch, dass die EPA „auf lange Sicht nicht stark genug ist, den Lobbyisten von Bayer zu widerstehen.“

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