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Darüber spricht man nicht

In den Niederlanden ist die aktive Sterbehilfe straffrei. Wie in vielen Bereichen wird das Thema bei uns weniger offen und liberal behandelt. Ein Artikel und Kommentar über die Sterbehilfe in Deutschland

Das Leben eines Menschen mutwillig zu beenden ist Mord oder Totschlag. Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben. Doch was ist, wenn dieser Mensch nicht mehr leben möchte?

In Fällen von unheilbar Kranken kann der vorzeitige Tod Würdeverlust und Schmerzen verhindern. Dann können sie sich selbst töten, klar.

Wenn sie aber so krank sind, dass sie ihr Bett nicht mehr verlassen können, um sich entsprechende Mittel zu besorgen und zur Einnahme vorzubereiten, sind sie auf fremde Hilfe angewiesen.

Die Engländerin Diane Pretty litt an einer tödlichen Muskelkrankheit. Aufgrund ihrer Lähmung vom Hals abwärts war sie nicht in der Lage, ihr Leben zu beenden, als es für sie nicht mehr lebenswert erschien. Um das Recht zu erlangen, von ihrem Ehemann getötet zu werden, kämpfte sie schließlich sogar vor dem Europäischen Gerichtshof. Doch dieser entschied sich gegen die Erlaubnis zur Sterbehilfe. Wochen nach dieser Entscheidung starb sie unter schweren Atembeschwerden in einem Hospiz. Ihr Mann sagte dazu: „Sie hat genau das durchmachen müssen, wovor sie sich am meisten fürchtete – und bei dem ich ihr nicht helfen konnte.“

Das Grundgesetz garantiert das Recht auf ein würdiges und selbstbestimmtes Leben. Hört also die Selbstbestimmung in seiner allerletzten Phase, dem Sterben, auf? Wird das Recht auf Leben zu einem Zwang, zu überleben?

Um sich darüber ein klares Bild machen zu können, muss man die komplexe Rechtslage verstehen. Diese kann der Bremer Karlheinz Wichmann, Präsident der Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS), entschlüsseln. Die DGHS ist eine Bürgerrechtsorganisation mit 40.000 Mitgliedern bundesweit, die sich für die Einhaltung der Wünsche von Sterbenden engagiert.

Selbsttötung ist nicht strafbar. „Wenn eine Tat legal ist, dann kann doch auch die Beihilfe zu dieser Tat nicht rechtswidrig sein“, erklärt Wichmann. Heißt das, der Helfer dürfte eine Schlinge an der Decke befestigen, den „Suizidenten“ auf einen Stuhl stellen, und zuschauen, wie er diesen selbst wegtritt? Die Menschen, die Beihilfe zur Selbsttötung benötigen, sind meist bettlägerig und dazu gar nicht mehr in der Lage.

Ein DGHS-Mitglied ging so vor: Der Verwandte besorgte todbringende Medikamente, zerkleinerte diese und löste sie in Wasser auf. „Er steckte sogar noch einen Plastikstrohhalm in das Glas und bog ihn um. Dann verschwand er aus dem Zimmer. Es geht also genau soweit, bis die Aktion des Freitodes beginnt; dann muss der oder die Betreffende das selbst machen.“ Das Zimmer sollte nicht mehr betreten werden, bis der Tod eingetreten ist. Denn die Beihilfe zur Selbsttötung könnte sonst auch als „Unterlassene Hilfeleistung“ bestraft werden. Der Sterbende muss sich ganz alleine aus dem Leben verabschieden, obwohl viele Menschen in diesem Moment Beistand ihrer engsten Vertrauten wünschen!

Der Suizident muss auf jeden Fall volljährig und geistig und psychisch zurechnungsfähig sein. Ärzten ist es aufgrund des hippokratischen Eides, der die Erhaltung des Lebens als oberstes Gebot vorschreibt, verboten, Beihilfe zur Selbsttötung zu leisten. Absurd, dass gerade denjenigen, die über das Wissen und die Mittel verfügen, einem Sterbewilligen zu einem kurzen, leidlosen Tod zu verhelfen, die Hände gebunden sind!

Also können auch die Medikamente nur über Umwege aus europäischen Nachbarländern bezogen werden. Beispielsweise kann man in Frankreich Medikamente zur Selbsttötung rezeptfrei in der Apotheke kaufen. Was für ein Armutszeugnis für die Regelung in Deutschland! Klar, Beihilfe ist erlaubt, das ist zwar ein wichtiger Schritt, aber das man für die Wahrnehmung dieses Rechts erst über das Ausland gehen muss: Das kann doch nicht der offizielle Weg sein! „Das Problem ist, dass die Sterbehilfe in Deutschland nicht gesetzlich abgesichert ist. Dadurch gibt es immer wieder Grauzonen, viele Löcher, in die Sie fallen können“, kritisiert Wichman diesen Zustand.

Ein weiteres Defizit ist die fehlende gesetzliche Regelung der Patientenverfügung.

Im Rahmen dieser Verfügung kann jeder seine Wünsche für den Fall eines Unfalls oder einer Krankheit festlegen. So kann das Ausschalten von lebenserhaltenden Apparaten in bestimmten Fällen gewünscht werden. Viele Menschen möchten nicht jahrelang in einem komatösen Zustand zwischen Leben und Tod verbringen, wenn die Chance auf Heilung gen Null tendiert. Es sind Fälle bekannt, in denen Patienten über 40 Jahre im Koma lagen. Eine Patientenverfügung kann Verwandten und Ärzten die Entscheidung, entsprechende Behandlung abzubrechen, leichter machen. Vom Staat wird den Ärzten „empfohlen“, sich an diese Verfügung zu halten, „es gibt allerdings kein Gesetz, das ihn dazu verpflichtet“, fügt Herr Wichmann hinzu. Trotz eines Urteils des Bundesgerichtshofes, nach dem der Wunsch des Patienten immer höherwertiger als der Wunsch des Arztes ist, wird häufig gezögert, sich daran zu halten. Es ist zwar positiv, dass sich auf Druck der DGHS bis jetzt jeder Arzt an den Wunsch seines Patienten gehalten hat, allerdings ist es doch schade, dass es dieser Unterstützung überhaupt bedarf!

Ein absolutes Tabu ist in Deutschland die aktive direkte Sterbehilfe. Diese beginnt genau in dem Moment, in dem entsprechende Tabletten von Anderen zum Mund des Kranken geführt werden oder eine tödliche Injektion verabreicht wird. Gegner argumentieren mit eventuellem Missbrauch einer solchen gesetzlichen Regelung. Natürlich muss man bei diesem Thema extrem vorsichtig sein! Es müsste aber doch in Deutschland möglich sein, gewisse Prüfungsinstanzen einzurichten, die unabhängig die jeweilige Situation des Patienten einschätzen. Denn gerade diejenigen, die eben nicht einmal mehr imstande sind, ein Medikament zu schlucken, verlieren ihre Selbstbestimmung.

In den Niederlanden wird durch aktive Sterbehilfe auf diese Weise jährlich ca. 70-100 Menschen ein würdiges Sterben ohne Schmerzen und Leid ermöglicht. In Deutschland vegetieren diese Menschen qualvoll ihrem Tod entgegen. Das Absurdeste daran ist, das dies im Namen der Moral und der Menschlichkeit geschieht; angeblich verlange die christliche Wertvorstellung dies.

Politiker aller Parteien greifen dieses Thema kaum auf. „Die sagen sich: Das ist ein heißes Eisen, daran wollen wir uns nicht die Finger verbrennen“, fasst Karlheinz Wichmann die Reaktionen aller Parteien zusammen. Die CSU hat beispielsweise auf Anfragen der DGHS zu verstehen gegeben, dass man über solche Themen nicht spricht. Wie bitte?!

Darüber spricht man nicht?! Was ist das denn für eine Einstellung: Wenn es heikel wird, schweigen wir lieber?!

Dieses Wegschweigen intensiviert doch gerade die Probleme vieler Betroffener. Dass Selbsttötung, die Beihilfe dazu und auch aktive Sterbehilfe eben in Fällen von unheilbar Kranken keine Tat von geistig Gestörten ist, taucht im Bewusstsein vieler Mitbürger gar nicht auf. „Es wird immer von Selbstmord geredet. Zu einem Mord würden ein Täter mit niederen Beweggründen und ein Opfer gehören. Das ist bei der Selbsttötung überhaupt nicht der Fall!“ empört sich Wichmann.

Er berichtet beispielsweise von enormen Schuldgefühlen, die Angehörige plagen, wenn sie dem Abstellen von lebenserhaltenden Apparaten zugestimmt haben. Obwohl sie ihre Entscheidung doch in dem Bewusstsein gefällt haben, das Leid des Kranken damit beendet zu haben!

Die Situation der Betroffenen ließe sich sicherlich erheblich verbessern, indem unheilbar Kranke sich für ihre Selbsttötung nach gründlicher Prüfung der Umstände vom Arzt entsprechende Medikamente verschreiben lassen könnten. Somit würde die für Angehörige quälende Tuschelei hinter ihrem Rücken eingedämmt werden. Dies ist laut Wichmann in den liberaleren Niederlanden der Fall: „Dort ist die gedankliche Haltung eine ganz andere!“

Melike Wulfgramm

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