: Berlin reiht sich wieder ein
Die Bundesregierung ist nun bereit, die Wünsche der USA zu erfüllen: Sie gibt ihr Ja zu Eingreiftruppe und macht sich für den EU-Beitritt der Türkei stark
aus Prag JENS KÖNIG
Woran kann man am besten ablesen, ob ein so großes Land wie Deutschland auf einem so internationalen Mammuttreffen wie dem Nato-Gipfel in Prag wie ein Aussätziger behandelt wird? An den offiziellen Beschlüssen? An dem beiläufigen Handschlag zwischen George W. Bush und Gerhard Schröder? Oder vielleicht daran, dass Joschka Fischer die angebliche Isolierung Deutschlands etwas zu forsch dementiert? „Wir waren nie die Aussätzigen, und wir sind auch jetzt nicht die Aussätzigen“, antwortet der Außenminister genervt, wenn ihn die Journalisten danach fragen.
Wahrscheinlich kann man an keiner dieser Fragen allein die gegenwärtige Position Deutschlands innerhalb der Nato ablesen. Aber alle zusammen ergeben sie doch ein Bild, das an Schärfe nichts zu wünschen übrig lässt: Die rot-grüne Regierung hat mit ihrem harten Kurs in Sachen Irakkrieg und den dazugehörigen Beschimpfungen nicht nur den US-Präsidenten verärgert, sondern auch ihren politischen Einfluss innerhalb der Nato verspielt.
Verteidigungsminister Peter Struck gelingt es in einem unbedachten Moment am Rande des Nato-Gipfels, diese Einflusslosigkeit zu leugnen und sie gleichzeitig zuzugeben. „Offiziell sind wir die Aussätzigen, inoffiziell nicht“, sagt Struck und erzählt, dass beim Gipfel bis auf Frankreich, Luxemburg und Deutschland alle Nato-Länder mit markigen Sprüchen zum Irak aufgetreten seien.
Beim inoffiziellen Teil des Treffens jedoch seien mehrere Staats- und Regierungschefs zur deutschen Delegation gekommen und hätten ihr versichert, dass sie mit ihrer zurückhaltenden Irak-Position gar nicht so Unrecht habe. Außerdem, so fügt Struck hinzu, liefen die Gespräche zwischen den US-Amerikanern und den Deutschen auf der Arbeitsebene sehr gut.
Nun kann das durchaus daran liegen, dass die Bundesregierung zwar offiziell bei ihrer Haltung bleibt, sich nicht aktiv an militärischen Maßnahmen gegen den Irak beteiligen zu wollen, aber jenseits dessen alles tut, um die Wünsche der Amerikaner für eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu erfüllen.
Das würden Schröder, Fischer und Struck natürlich nie zugeben. Schon vor Wochen haben sie das bestritten, als in den Medien von einer angeblichen Liste der Amerikaner die Rede war, in der Schröders Bringschuld an Bush aufgelistet sein soll. Eine solche Liste gebe es nicht, hat die Bundesregierung lauthals verkündet. Aber schon damals wurde klar, dass die Regierung genau weiß, was die Amerikaner von ihr erwarten – egal ob es eine solche „Liste“ in schriftlicher Form nun gibt oder nicht.
Befürwortung einer schnellen Eingreiftruppe der Nato, Stillhalten während eines Irak-Einsatzes der Amerikaner und die Unterstützung einer EU-Aufnahme der Türkei – das sind, grob gesagt, die Wünsche der Amerikaner an die Deutschen. Und ganz zufällig ist die Bundesregierung gerade dabei, diese Wünsche zu erfüllen. Das hat der Nato-Gipfel ganz deutlich gemacht.
Die rot-grüne Regierung hat im Prager Kongresszentrum der Schaffung der Nato Response Force zugestimmt, obwohl sie der von den USA gewollten 21.000 Mann starken Eingreiftruppe bis vor ein paar Wochen noch skeptisch gegenüberstand.
Bei der Frage, inwieweit Deutschland die USA bei einem Irakkrieg unterstützen wird, hält sich die Bundesregierung zwar offiziell noch bedeckt. Doch wird sie schon bald Farbe bekennen müssen. Gerhard Schröder hat gestern zum ersten Mal deutlich werden lassen, wie diese Entscheidung ausfallen wird. „Wir haben nicht vor, die Bewegungsmöglichkeiten unserer Freunde einzuschränken“, sagte der Kanzler. Im Klartext: Deutschland wird seinen Luftraum für die Amerikaner während eines Irakkrieges nicht sperren.
Außerdem hat Schröder in Prag deutlich gemacht, dass die Türkei beim EU-Gipfel in Kopenhagen im Dezember ein „weiter gehendes Signal“ erwarten darf, also vermutlich die Angabe eines Datums, wann die Verhandlungen für eine EU-Aufnahme der Türkei beginnen können. Der Kanzler nannte dafür zwei Bedingungen: innere Reformen in der Türkei sowie die Zustimmung des Landes, die Teilung Zyperns endlich zu überwinden.
In der Türkei-Frage bestreitet die Bundesregierung nicht einmal mehr, dass die Amerikaner an deren Lösung großes Interesse haben. Schröder sagte gestern zwar, entsprechende Forderungen seien ihm „nie zur Kenntnis gelangt“, aber sein Verteidigungsminister war da weniger diplomatisch. Bei seinen Verhandlungen mit den Amerikanern, sagte Struck, stünde die EU-Aufnahme der Türkei immer „ganz oben auf der Liste“. Die deutsche Regierung weiß also, was von ihr erwartet wird. Und sie ist bereit, es zu tun.
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