: Gefährliche Pflege
AWO schließt Sozialstationen und entlässt 160 Mitarbeiter und 500 Patienten in eine ungewisse Zukunft. Und das ist erst der Anfang: Hamburgische Pflegegesellschaft sagt für das kommende Jahr weitere Insolvenzen von Pflegediensten voraus
von SANDRA WILSDORF
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) schließt ihre vier Sozialstationen: 160 Mitarbeiter und 500 Pflegebedürftige bangen um ihre Zukunft. Gestern demonstrierten einige von ihnen vor dem YOHO in Eimsbüttel. Dort sollte eigentlich eine Delegiertenversammlung der AWO tagen. Doch die Geschäftsführung hatte diese kurzfristig abgesagt, „weil wir den älteren und ehrenamtlich Tätigen nicht zumuten wollten, Teil eines öffentlichen Spektakels zu werden“, sagt Geschäftsführerin Birgit Treu.
Seit Monaten schwelt die Auseinandersetzung um die Sozialstationen. Treu erklärt: „Seit Einführung der Pflegeversicherung geht die Preisspirale nach unten.“ Erst schleichend, zuletzt im Galopp. In diesem Jahr haben nun die Krankenkassen die Vergütungen noch einmal um etwa 20 Prozent gesenkt. Als Sparmaßnahme wollte die AWO die MitarbeiterInnen der Sozialstationen in eine GmbH ausgliedern – und sie dort zu schlechteren Konditionen arbeiten lassen. Besonders die nicht examinierten Pflegekräfte, die bei der AWO nicht viel weniger verdienten als die mit Examen, sollten Einbußen von bis zu 25 Prozent hinnehmen. „Das wären bei mir brutto 300 Euro weniger gewesen“, sagt eine Schwesternhelferin. 1372 Euro wären der allein erziehenden Mutter dann noch geblieben – brutto. Sie hat den Vertrag nicht unterschrieben.
Weil es wie ihr vielen der etwa 80 betroffenen Kollegen ging, werden nun alle Mitarbeiter entlassen. Treu bedauert, „dass zu wenige Mitarbeiter diesen Weg mitgehen wollten“. Der Betriebsrat wirft Vorstand und Geschäftsführung hingegen „jahrelanges Missmanagement, fehlende beziehungsweise falsche Konzepte und Inkompetenz auf den verschiedenen Leitungsebenen vor“. Seit zwei Jahren hätten die Beschäftigten auf Urlaubs- sowie große Teile des Weihnachtsgeldes verzichtet – im Vertrauen auf Arbeitsplatzsicherheit. Und jetzt das: „Auch die Arbeitsbedingungen sollten sich in den neuen Verträgen dramatisch verschlechtern“, erzählt ein Mitarbeiter. Statt in Geld sollten sich Überstunden in Punkten auf einem Arbeitszeitkonto niederschlagen, nur noch jedes zweite Wochenende sollte frei sein. Die Beschäftigten sind enttäuscht, kritisieren einen „Kurs der Gesprächsverweigerung“ und glauben: „Die wollten uns mit der GmbH nur auf die billigste Weise loswerden.“
Was bei der AWO passiert, hat die Hamburgische Pflegegesellschaft (HPG) – bei der auch die AWO Mitglied ist – lange prognostiziert. Immer wieder rief der Verband Krankenkassen und Gesetzgeber dazu auf, die Lage in der ambulanten Pflege zu verbessern. HPG-Geschäftsführer Jens Stappenbeck: „Wenn es uns nicht gelingt, im Frühjahr deutliche Erhöhungen zu erreichen, dann wird es bei vielen Einrichtungen so ausgehen wie bei der AWO.“ Die Kassen hätten die Verbände „in Grund und Boden verhandelt“, sagt Stappenbeck. Immer mit dem Argument, „Niedersachsen und Schleswig-Holstein sind billiger“. Dass Büromieten in Hamburg höher sind, dass Anfahrten wegen des dichten Verkehrs und der Parkplatznot länger dauerten, „und dass wir in Hamburg einen Standard geschaffen haben, der in Schleswig-Holstein und Niedersachsen seinesgleichen sucht“, werde nicht berücksichtigt.
Auch die Diakonie verabschiedete auf ihrer Jahresversammlung kürzlich eine Resolution, in der sie für das kommende Jahr Insolvenzen vieler Pflegedienste voraussagt. „Die Lage ist schwarz. Oder tiefrot“, sagt Geschäftsführer Hartmut Sauer.
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