piwik no script img

Mal nichts kaufen

Heute ist „Buy Nothing Day“. Dabei steht den Händlern ohnehin ein schlappes Weihnachtsgeschäft bevor: Viele Menschen haben kein Geld

Zu wenig Geld? Die Krise? Klauen ist mit Sicherheit auch keine nachhaltige Lösung

aus Berlin SUSANNE KLINGNER

Leben statt kaufen! lautet die Parole. Ausgerufen hat sie der Narra e. V., der in Deutschland zum zweiten Mal den „Buy Nothing Day“ initiierte. Die Konsumenten sollen heute, am Tag vor dem ersten Advent und des nun beginnenden Weihnachtsgeschäfts, in sich gehen und darüber nachdenken, wie sinnvoll es beispielsweise ist, jedes Jahr rund 6,4 Milliarden Euro für Schokolade auszugeben, einen gewichtigen Teil davon auch für Weihnachtsmänner.

Die Idee, einen Tag lang einfach mal gar nichts zu kaufen, kommt aus den USA. Hier veranstaltete die kanadisch-US-amerikanische Initiative Adbusters vor zehn Jahren den ersten Buy Nothing Day, am Tag nach Thanksgiving, dem kaufintensivsten Tag des Jahres in Nordamerika. Das diesjährige Motto in den USA: „United We Spend? – United Let’s Don’t.“ Hinter deutschem und amerikanischem Aufruf steckt die Botschaft: Weltweit konsumieren 20 Prozent der Menschen 80 Prozent der Güter – kann das gerecht sein?

2001 lag der Umsatz im Weihnachtsgeschäft deutschlandweit bei gut zehn Milliarden Euro. Dieses Jahr wird der vorweihnachtliche Konsumrausch ausbleiben, befürchten die Händler. Glaubt man einer Forsa-Umfrage für Stern und RTL, wollen 56 Prozent aller Deutschen weniger als 2001 für Weihnachtsgeschenke ausgeben. Das mag die Buy-Nothing-Day-Aktionisten freuen, Hubertus Pellengahr vom Hauptverband des Deutschen Einzelhandels (HDE) graut es jedoch vor Kosumverweigerern in der Adventszeit. Er sei schon froh, wenn der Handel auf Vorjahresniveau kommt.

Wegen der Konjunkturflaute haben manche Geschäfte schon zu ungewöhnlichen Mitteln gegriffen: So will die Kaufhauskette C&A die gesamte nächste Woche D-Mark als Zahlungsmittel akzeptieren. Das Möbel-Zentrum Airport am Flughafen Köln-Bonn lockt mit kostenlosem Sektfrühstück sowie mit Hirschgulasch und Spätzle für einen Euro. Andere Händler gewähren Rabatte bis zu 50 Prozent, sagt Johann Hellwege von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels. Viele Läden böten außerdem Extraleistungen wie Liefer- und Einpackservice oder Kinderbetreuung. Die Händler befürchten, dass ihnen ohne solche Aktionen die Kunden wegbleiben.

Rolf Bürkl ist Konsumexperte bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und sieht die schlechte Stimmung kritisch: „Die Menschen empfinden ihre derzeitige finanzielle Lage schlimmer, als sie tatsächlich ist.“ Zwar würden tatsächlich existierende Faktoren wie die Unsicherheit über die finanzielle Zukunft Ängste auslösen. Doch zu sparen, wie viele Deutsche es derzeit tun, verschlimmere die Situation nur noch weiter: Ohne Nachfrage gebe es bald auch kein Angebot mehr. Selbst wenn das Weihnachtsgeschäft bombastisch ausfiele, würde 2002 das schlechteste Geschäftsjahr seit Kriegsende sein, meinen Analysten. Rolf Birkl hofft auf ein besseres 2003. Spätestens Ende Januar würden sich die Menschen beruhigen. „Dann sehen die Leute, wie viel Gehalt sie tatsächlich haben, und planen dann mit den neuen Umständen.“

Wer jetzt kein Geld hat, könnte auf die Idee kommen, seine Weihnachtsgeschenke einfach zu klauen. Das legt eine Studie des englischen Wirtschaftsinstituts Centre for Retail Research in Nottingham nahe, nach der in der diesjährigen Vorweihnachtszeit mit geklautenWaren im Wert von 3,2 Milliarden Euro gerechnet werden muss. Viele Kunden hätten sich nicht richtig auf den Euro eingestellt, zu viel Geld ausgegeben und sich verschuldet, so die Forscher. Da bleibe kaum Geld für Weihnachten. Die Studie geht auch davon aus, dass in den sechs Wochen vor Weihnachten etwa 228.000 Diebe in Europa gefasst werden. Das britische Institut gibt gleich noch eine Liste der Dinge heraus, die am häufigsten gestohlen werden: Auf Platz eins landen Rasierklingen, gefolgt von Alkohol, Kosmetik und Kleidung. Auf den hinteren Plätzen der Top 10 drängeln sich Batterien, Schwangerschaftstests, Instantkaffee und abgepacktes Fleisch. Nichts kaufen kann also auch klauen heißen. Doch wer so schlicht denkt, hat das ursprünglich nachhaltige Anliegen des Buy Nothing Day nicht verstanden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen