: Manche mögen’s heißer
Das Kennedy-Land-Management gerät in organisatorische Schwierigkeiten
Robert Gordon, 47, Immobilienmakler aus Dayton, Ohio, hat alles erreicht, was er sich als kleiner Junge gewünscht hatte: eine hübsche Frau, zwei süße Kinder, drei Cadillacs und vierundzwanzig schmucklose 16-Zimmer- Villen. Und doch ist sein amerikanischer Traum noch nicht ganz ausgeträumt: Robert Gordon hat sich zwar vom Tellerwäscher zum Millionär hochgespült, doch tief in seinem Inneren trägt er noch immer ein kindliches Verlangen nach Anlehnung an einen Helden. In seinem Fall ist dies der frühere Präsident der Vereinigten Staaten, John F. Kennedy. Robert wollte schon immer so sein wie JFK, und deshalb kleidet er sich wie JFK, trägt die gleiche Frisur und bevorzugt wie sein großes Vorbild Blondinen.
Und natürlich möchte er eines schönen Tages so sterben wie dieser – durch die Kugeln eines hinterhältigen Attentäters. „Mehr kann ich in meinem Leben nicht mehr erreichen“, sagt der sympathische Immobilienhai, „und deshalb will ich, dass sich mein letzter Wunsch erfüllt, solange ich noch jung bin und etwas davon habe. „Bislang war es seiner Frau Cindy immer wieder gelungen, ihren Mann von der etwas aufwändigen Inszenierung seines letzten Wunsches abzubringen, doch seit kurzem stehen der Erfüllung von Robert Gordons Todessehnsucht keine Hindernisse mehr im Wege. Kennedy-Land macht’s möglich. Dort nämlich wurde Dealey Plaza, der Schauplatz des Attentats auf John F. Kennedy am 22. Nov. 1963 in Dallas, originalgetreu nachgebaut. Gegen die vergleichsweise geringe Gebühr von 75 Dollar läuft vor den Augen eines tausendköpfigen Publikums eine minutiös geplante und generalstabsmäßig durchgeführte Fahrt im offenen Lincoln Continental ab, bis vor den Augen des immer wieder von neuem entsetzten Publikums die drei tödlichen Schüsse fallen und der JFK-„Spieler“ blutüberströmt in den Polstern der Staatskarosse zusammensackt. Denn wenn alles andere in dieser so uramerikanischen Inszenierung aus Plastik und Pappmaschee ist – die Kugeln sind echt!
Und anders als beim Originalattentat, das die Weltöffentlichkeit nur von den stümperhaften, verwackelten Aufnahmen eines Amateurfilmers kennt, wird die Todesfahrt des freiwilligen Präsidenten-Nachfolgers sorgfältig dokumentiert. Professionelle Video-Aufzeichnungen jeder einzelnen Etappe, aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen, halten in beeindruckenden Bildern die Erinnerung an den tapferen Kandidaten fest und sind ein beliebtes Souvenir für die Familie, mehr noch, ein nacherlebtes Stück Zeitgeschichte!
Der riesige Erfolg der „JFK-Show“ – allein in den ersten Wochen sahen über 100.000 begeisterte Zuschauer das Mordsspektakel – bringt das Kennedy-Land-Management in erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. „Wir haben weit mehr Bewerber, als wir überhaupt einsetzen können. Und zwar sowohl für die Kennedy-Darsteller, als auch für die Todesschützen. Unsere Kapazitäten sind total ausgelastet, und wir fahren mittlerweile schon im 30-Minuten-Takt.“ Jim Kotchef, Organisator der Attentatsshow, rauft sich melodramatisch die Haare. Allein 348 Bewerber hat er bisher abwimmeln müssen, und das, obwohl er 28 Scharfschützen aus den Reihen ehemaliger Golfkriegkämpfer unter Vertrag hat.
Die Kandidaten auf der Attentatswarteliste interessiert es nicht, ob ihr Idol durch die Kugeln der Mafia, des KGB oder des Ku-Klux-Klan getötet wurde. „Seit diesen Schüssen ist der amerikanische Traum gestorben, seit diesen Schüssen lohnt es nicht mehr, für Amerika zu leben“ – so die einhellige Meinung der „JFK-Incorporators“, wie sie im Jargon der Verwaltung heißen. Was aber, wenn diese Mode abflaut, sich nicht mehr genügend Aspiranten für den heißen Rücksitz melden und seinen hochqualifizierten Scharfschützen der Absturz in die Arbeitslosigkeit droht? Für diesen Fall haben Jim Kotchef und seine Leute längst vorgesorgt: Dann findet die von der National Rifle Associaton gesponserte Show eben in freier Wildbahn statt: zum Beispiel auf Parkplätzen von Tankstellen und Einkaufcentern.
RÜDIGER KIND
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