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Untote fahren fehl

Doof: Da bestellt man sich eine Kombi-Taxe, und was passiert? Sie schicken eine Limousine, dem Fahrer fehlt das rechte Ohr und er stößt Faulgase aus

von ULI HANNEMANN

Manchmal, wenn ich viel zu transportieren habe, bestelle ich mir ein Taxi nach Hause. So auch neulich Abend: Ich musste fünf große Müllsäcke mit Kleidung wegschaffen, rief beim Taxifunk an und orderte eine Kombi-Taxe. Das werde nicht leicht sein, warnte die Dame am anderen Ende der Leitung, so etwas wäre in Berlin kaum zu finden, ja, schwafelte sie weiter, in der Karibik vielleicht oder auch in Transsilvanien …

Ich wunderte mich ein wenig, sagte jedoch weiter nichts dazu. Nachdem ich eine ganze Weile tatenlos am Hörer gewartet hatte, schien es schließlich auch geklappt zu haben: „Kommt“, verkündete die Frau, „in sieben Minuten!“ Es ging dann offensichtlich doch schneller, denn als ich nach nicht einmal fünf Minuten aus der Haustür trat, empfing mich schon ein Brummen von der Straße her. Das Brummen kam aus einem wartenden Taxi, nicht allerdings unter der Kühlerhaube hervor, sondern aus dem geöffneten Fenster.

Ich trat näher: Hatten die mir doch glatt eine Limousine geschickt – ich wollte doch ’ne Kombi-Taxe haben! Ich öffnete hinten die Tür, warf einen Blick auf den laut brummenden Fahrer und erschrak furchtbar: Sein Kopf war über und über mit frischem Blut überströmt, das rechte Ohr fehlte, das linke war skelettiert, Maden und Würmer wimmelten aus zahlreichen offenen Stellen und er stank unglaublich nach Tod und Verwesung. Also, wenn da keine akute Seuchengefahr vorlag! Einmal mehr fühlte ich mich in meiner Haltung bestätigt, den Erwerb eines Gesundheitspasses, ähnlich wie in der Gastronomie, auch im Taxigewerbe obligatorisch zu machen. Um den Mann nicht zu kränken, ließ ich mir jedoch nichts anmerken und beschränkte mich stattdessen auf sachliche Einwände: „Tut mir Leid“, zeigte ich auf die Säcke mit den Klamotten, „ich kann Sie leider nicht brauchen – ich hab ausdrücklich ’ne Kombi-Taxe bestellt!“ Hohl stöhnte der Fahrer auf: „Das gibt’s doch mal wieder nicht – diese Scheiß-Zentrale: Die haben extra ’ne Zombie-Taxe vermittelt!“

Ich wollte nicht persönlich werden und schluckte die Vermutung, dass angesichts des Zustands seiner Ohren ja auch gut und gerne ein Hörfehler seinerseits vorliegen mochte, herunter: „Aber Sie sehen doch, dass das nicht geht – wie sollen wir denn das ganze Zeug unterbringen? Und schauen Sie doch mal: Es gibt bestimmt nicht viele Zombies hier, da bekommen Sie sicher bald ’nen neuen Auftrag!“ Der Zombie schluckte – kurzzeitig befürchtete ich, er werde gleich anfangen zu weinen. „Da täuschen Sie sich total“, klagte er, „Zombie-Aufträge gibt es vielleicht alle dreihundert Jahre mal. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir doch lieber ’ne Großraumtaxe gekauft, anstatt mich umbringen und in ungeweihter Erde verscharren zu lassen. So ein Reinfall aber auch“, redete er sich derart in Rage, dass in seinem erhitzten Schädel die Fliegen zu schlüpfen und im Wagen herumzuschwirren begannen, „anderthalb Stunden lang bin ich wie untot Siegfried/Herrmann rumgestanden. Soll ich mich da jetzt vielleicht wieder hinten anstellen?“

„Ich fürchte“, sagte ich – er begann mir Leid zu tun. „Bitte“, bettelte er, „lassen Sie es uns mit dem Gepäck doch wenigstens mal versuchen! Dauernd gehen die Leute am Halteplatz an mir vorbei und nehmen das nächste Taxi. Ich bekomme eigentlich nur noch die Volltrunkenen ab. Ich verstehe überhaupt nicht, warum? Ist irgendwas mit meinem Gesicht? Hä? Sie gucken mich auch so komisch an? Hä? Hab ich da was? Ist da irgendwas nicht in Ordnung?“ – „Nein, nein“, dementierte ich hastig, „na gut – versuchen wir es!“ „Das ist ein Wort“, freute sich der Fahrer, stieg schwerfällig aus, wankte, Faulgase ausstoßend, nach hinten zum Kofferraum und öffnete die Klappe – die wenigen intakten Fetzen seiner leichenblassen Haut wurden fast noch leichenblasser: „Scheiße“, ächzte er, „der Sarg – den habe ich jetzt total vergessen! Vielleicht setzen Sie sich nachher neben mich und man könnte den Kram auf den Rücksitz …“

„Auf keinen Fall“, wehrte ich ab, „ich denke, wir zwei kommen heute wirklich nicht mehr ins Geschäft!“ Er merkte, dass ich es ernst meinte und schlug enttäuscht brummend den Kofferraumdeckel zu. Nach einem eher halbherzig vergeblichen Versuch mich zu beißen, fuhr er schließlich Richtung Siegfried/Herrmann-Halte davon. Der Nebel dämpfte sein schauriges Geheul, bis er es am Ende ganz verschluckte.

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