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Ode an die Bratkartoffel

Michael Balk ist der ungekrönte König der Bratkartoffeln. Jahr für Jahr brutzelt er auf dem Weihnachtsmarkt mit der Leidenschaft von einem, der es gut mit den Menschen meint

Bremer kennen fünf Jahreszeiten: Die vier, die jeder kennt, und dann noch den Freimarkt. Dabei haben sie die wichtigste vergessen: die Bratkartoffelsaison. Sie liegt zwischen Herbst und Winter, beginnt am ersten Dezember und dauert bis kurz vor Weihnachten. Verantwortlich ist dafür ganz allein ein Mann: Michael Balk ist der ungekrönte König der Bratkartoffeln. Sein Reich, auf dem Markt von der Raths-Apotheke etwa 20 Meter in Richtung Bürgerschaft gelegen, hat einen Radius von 50 Zentimetern. Da liegen sie, die kleinen, feinen Scheibchen, im siedenden Öl: Vornan, wo es kräftig brutzelt, die nächsten Portionen; weiter hinten der Vorrat. Kunstvoll wischt Balk immer wieder ein paar der im fernen Holland vorgegarten Kartoffelscheiben nach vorn, auf dass sie allmählich auch die goldgelbe Farbe annehmen, oder gar knusprig braun werden, vermischt sie mit ein paar Zwiebelstückchen und Speckwürfeln – „Just-in-Time-Produktion“.

Anfang Dezember kommen ständig Stammkunden mit Sätzen wie „Alle Jahre wieder …“. Und tatsächlich weiß der Meister nach einem Jahr noch jeden Extra-Wunsch: ein Spiegelei oder zwei, gewendet oder nicht, eine Gurke dazu. Vegetarier müssen einen Augenblick warten, bis er ein Extra-Häuflein gebrutzelt hat. Die meisten tun das gern, wissen sie doch, dass sie derart perfekte Bratkartoffeln nur am Weihnachtsmarktstand von Nina Renoldi bekommen.

Eigentlich ist es ja ein Kartoffelpufferstand. Wenn sich ein Novize zu Balk verirrt und danach fragt, geht er ohne zu murren und holt von seinen zahlreichen KollegInnen die verlangten drei frittierten Kartoffelmatschhaufen. Freundlich. Aber in dem Bewusstsein, mit der köstlichen Erdfrucht Besseres anfangen zu können. Dafür ist er schließlich gelernter Koch.

Wie er auf den Weihnachtsmarkt kam? Das war 1978, mit 18. „Ich hatte so viel schlechtes über Schausteller gehört“, sagt Balk „fahrendes Volk, Zigeuner, und so.“ Da wollte er es einfach mal genau wissen, heuerte an – und blieb. Fazit nach fast 25 Jahren Freimarkt, Osterwiese, Sechstagerennen, Weihnachtsmarkt, und, und, und: „Das sind echt prrrima Leute.“ Mit gerolltem „r“. Jetzt ist eigentlich Schluss: Balk arbeitet im neuen Karstadt-Restaurant „Le Buffet“. „Front-Cooking“ – das neumodische Wort will ihm noch nicht so recht über die Lippen, aber das Prinzip verkörpert er ideal: Frisch kochen und dabei locker mit den Gästen plaudern.

Weihnachtsmarkt, das ist für ihn jetzt so was wie Urlaub. Oder Überstunden abbummeln. Auch wenn er täglich fünfzig bis neunzig Kilo Kartoffeln ausgibt. Das will er sich auch in den kommenden Jahren nicht nehmen lassen. „Aber mit Sechstagerennen wird wohl’n bisschen schwierig“, sagt er mit einem Hauch Nostalgie in der Stimme.

Den Freimarkt wird er nicht ganz so vermissen: Den hat er fast komplett zu Hause. Im Modelleisenbahn-Format H-Null, sauber in Kisten verpackt, Ergebnis jahrzehntelanger Sammelleidenschaft. Im Moment bekommt gerade die „Wilde Maus“ den Seilzug verpasst, damit sie wirklich fährt. Aber auch die Schausteller-Wohnwagen mit Tür zum Aufmachen fehlen nicht. Aufbauen kann er die Sammlung eigentlich nie komplett – dafür bräuchte er eine Lagerhalle.

Jetzt, in der Weihnachtszeit, steht erst mal ein anderes Modell obenan: Für die Schulklasse seines Sohnes hat er eine Leckerei aus Lebkuchen gebaut.Diesmal gab‘s kein Hexenhaus, sondern ein UFO. „Die hatten dies Halbjahr das Schwerpunktthema Weltraum“, erklärt der 42-Jährige, der sich im Elternverein engagiert. „Wenn wir so was nicht machen würden, würde in der Schule doch gar nichts passieren“, sagt er nachdenklich.

Jan Kahlcke

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