: Im permanenten Ausnahmezustand
Die Welt ist ein riesiges Abenteuergelände, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden, doch jeder Tourist hat ein Recht auf die totale Sicherheit: Warum Urlauber potenzielle Ziele in einem Terror-Krieg geworden sind und welche vielfältigen Verbindungen es zwischen dem Militär und dem Tourismus gibt
von MARK TERKESSIDIS
Unbeschwerte Urlauber, unschuldige Touristen werden als „weiche Ziele“ mehr und mehr Opfer von terroristischen Attacken – das ist die Version, die derzeit über die Anschläge von Djerba, Bali und zuletzt Mombasa durch die Medien geht. Doch wie unschuldig sind eigentlich Touristen oder, anders formuliert, wie unschuldig ist der Tourismus? Selbstverständlich existieren keinerlei Rechtfertigungen für die genannten Attacken auf Urlauber, und dennoch stellt sich die Frage: Warum sind Urlauber potenzielle Ziele in einem Krieg geworden? Gibt es nicht möglicherweise eine unsichtbare Verwandtschaft zwischen dem Tourismus und dem Militär?
Die erste Spur führt zu Militärregierungen. Denn oft genug waren es solche Regime, welche ihr Land erstmals für den Tourismus urbar machten. In Europa bescherten Franco und die Obristen den Spaniern und Griechen die ersten Urlauberströme. In der Dritten Welt trug sich etwas später Ähnliches zu. Nehmen wir aufgrund der Entführungen deutscher Urlauber im Jahre 2000 die Philippinen noch mit auf die Liste der Länder, in denen es Anschläge auf Touristen gegeben hat, so entsteht mit Tunesien, Indonesien und Kenia eine beachtliche Aufstellung von Staaten, in denen lange Zeit vom Westen unterstützte Diktatoren an der Macht waren: Marcos, Bourguiba, Suharto, arap Moi. Gerade der autokratische Charakter dieser Regime machte es möglich, die Infrastruktur für den Tourismus mit der nötigen Härte gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. In Kenia etwa gab es schon seit den Fünfzigerjahren eine fortgesetzte, brutale Vertreibung der „unzivilisierten“ Massai aus ihren Siedlungsgebieten, um Platz für Safariparks zu schaffen. Mittlerweile führen die Angehörigen dieser Gruppe in Touristenzentren wie Mombasa erfundene „Massai-Tänze“ für Urlauber auf. Offenbar hat erst die nachhaltige Zerstörung der kulturellen Tradition diese für die Reisenden auf der Suche nach Authentizität so richtig attraktiv gemacht. In ihrem äußerst erfolgreichen Buch „Die weiße Massai“ etwa beschreibt Corinna Hofmann, wie sie bei der Beobachtung eines solchen Tanzspektakels eine enge Verbundenheit spürt: „Mir schießen Tränen in die Augen bei diesem mir unbekannten Gefühl von Heimat. Ich habe meine Familie, mein Volk gefunden.“
Schlachtfeld Strand
Ähnliches lässt sich von Bali sagen. Hier hat der Suharto-Clan im eigenen Geschäftsinteresse skrupellos religiöse Stätten niederwalzen lassen – dem Widerstand der Bewohner wurde oft genug mit dem Einsatz des Militärs begegnet. 1997 schrieb eine Reporterin in der Bali Post: „Balis Strände haben sich in ein kulturelles und ökologisches Schlachtfeld verwandelt.“ Derweil hat sich die lokale Kulturtradition durch die Anwesenheit der Touristen immer mehr in eine exotische Kulisse verwandelt. Gleichzeitig bleiben die Einwohner von den Segnungen des westlichen Lebensstils ausgeschlossen, die in den touristischen Exklaven erhältlich sind. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich diesen Lebensstil schlicht nicht leisten können, sondern auch an offener Ausgrenzung: Der Sari-Club am Kutastrand in Bali etwa – Ziel des Anschlages im Oktober – war für Indonesier generell verboten, außer sie befanden sich in der Gesellschaft von Touristen. Mit dieser Maßnahme sollten die allgegenwärtigen Prostituierten draußen gehalten werden.
Zwar sind alle genannten Länder mittlerweile formal demokratisch, doch in der einen oder anderen Form regiert weiterhin ein korrupter Autokratismus. Da der Tourismus nach Anschlägen gewöhnlich auf nahe Null zurückgeht, müssen die Regierungen zunächst wieder mehr Sicherheit produzieren. Dass dies mit Hilfe des Militärs geschieht – unterstützt von US-amerikanischen, australischen oder israelischen Experten –, darüber kann wohl kaum ein Zweifel bestehen. Freilich sind es nicht nur die Militärregierungen der Dritten Welt, welche die Voraussetzungen für den Tourismus schaffen. Oftmals haben auch militärische Interventionen selbst den Charakter von touristischen Reisen. Einige Jahrzehnte bevor die ersten Hippies Griechenland als wilden Abenteuerspielplatz entdeckten, war Erhart Kästner dorthin gereist – Autor des mit Abstand bekanntesten und meistverkauften deutschen Griechenlandbuches.
Exotisierung der Armut
Dieses Buch war eine endlose Exotisierung der Armut – Griechenland bedeutete für Kästner eine Art geschichtslose Wildnis, die er entdecken konnte. Allerdings kam Kästner 1941 ins Land, zusammen mit der Wehrmacht. Sein Abenteuerbuch entstand als Auftragsarbeit für den kommandierenden General des Luftgaus Südost, der ein Reisebuch über Hellas wollte. So folgen die späteren Alternativtouristen nach Griechenland ganz unbewusst den Trampelpfaden und den Erlebnisstrukturen, welche die Wehrmacht für sie gelegt hat.
Das eklatanteste Beispiel für die Vermischung militärischer und touristischer Praktiken war jedoch das Verhalten der US-Truppen bei ihrem Einsatz in Vietnam. Die Soldaten benahmen sich nämlich wie Touristen – zugegebenermaßen in äußerst pervertierter Form. So schossen sie etwa stets Erinnerungsfotos ihrer Taten. Wie der Journalist Michael Herr berichtete, fanden sich auf den Bildern die immergleichen Motive: das „Schnippfeuerzeugfoto“ (mit einem Zippo-Feuerzeug wird ein vietnamesisches Dorf angezündet), das „Kopf-ab-Foto“, Bilder von sehr jungen toten Vietcong und von toten Vietcong-Mädchen sowie Bilder von US-Soldaten, welche zwei Ohren oder eine ganze Halskette aus Ohren in die Kamera hielten. Das Sammeln von „Souvenirs“ war ebenfalls an der Tagesordnung. An heutigen Maßstäben gemessen, handelte es sich um makabre Erinnerungsstücke: Ohren, Zähne und Finger – auch wurde von Köpfen, Penissen und Fingern berichtet. Schließlich gehörte die Party zum Vietnamaufenthalt dazu. Vor allem in Saigon entstand eine Amüsier-Infrastruktur für die US-Truppen – Hotels, Diskotheken, Spielhöllen, Puffs. Ähnliches geschah auf den Philippinen und in Thailand, weiteren Standorten des US-Militärs während des Krieges. Doch während die sozialistische Regierung in Hanoi die Etablissements nach ihrem Sieg zerstörte, wollte die thailändische Verwaltung die vorhandenen Anlagen nicht einfach vergammeln lassen. So vermarktete das Land im Westen die thailändische Frau als dienstbares, asiatisches Sexobjekt – und siehe da: Die Expuffs der Armee füllten sich bald mit Touristen.
Diese Verbindung zwischen dem Militärischen und dem Touristischen wird von den heutigen Individualtouristen auf der Suche nach Abenteuer gespiegelt. Wer in den letzten Jahren einmal einen Laden besucht hat, in dem Reiseausrüstung verkauft wird, dem wird die Nähe zum Militärischen sofort ins Auge fallen: Der Urlauber rüstet sich mit Kleidung und anderem Equipment aus wie ein zu jedem Kampf bereiter „Entdecker“. Das heißt im Übrigen nicht, dass er tatsächlich irgendein Risiko eingehen will – die Ausrüstung soll häufig auch nur ein abenteuerliches Gefühl beim Urlaub vermitteln. Bei einem Aufenthalt in Cabo Verde konnte ich etwa kürzlich beobachten, dass einige Urlauber, die selbstverständlich das Haus nicht ohne Cargohose, Stiefel und Tropenhut verließen, über ihren Betten Moskitonetze aufspannten, obwohl auf den Inseln weit und breit keine Mücke zu sehen war.
Tourist im Kampfanzug
In Großbritannien und den USA ist der Zusammenhang zwischen dem neuen Entdeckertourismus und dem Militärischen bereits früher aufgefallen – dafür steht Alex Garlands Roman „The Beach“, der später von Danny Boyle mit Leonardo di Caprio verfilmt wurde. Das Buch erzählt die Geschichte des Thailandurlaubers Richard, der bei seiner Suche nach Orten abseits des Üblichen immer mehr zum Dschungelkämpfer in einem „Apocalypse Now“-Setting wird. Den Zusammenhang mit dem Krieg in Vietnam stellt Garland selbst her, indem er Hauptfigur Richard erklären lässt, dass es bei diesem Krieg keineswegs „um Gewalt und Grauen“ ging: „Es ging um andres Zeug: durch den Gewehrlauf Haschisch rauchen, über dem Mekongdelta LSD einwerfen, mit dem Hubschrauber fliegen, während der ,Walkürenritt‘ aus den Lautsprechern donnert“ – alles in allem eben ein „Heidenspaß“.
„Von den Wüsten Afrikas bis zu den Gletschern von Neuseeland ist die Welt ein riesiges Abenteuergelände, das nur darauf wartet, entdeckt zu werden“ – so beschreibt die Rucksackfirma North Face das mögliche Interventionsgebiet ihrer Konsumenten. Doch während die militärische Intervention in der Rhetorik des Westens stets dazu dient, Sicherheit zu schaffen, setzt die touristische Intervention Sicherheit voraus. In diesem Sinne hat der australische Premierminister John Howard soeben beide Interventionsarten miteinander verknüpft, indem er nun alle Reisegebiete der Australier zu potenziellen Einsatzorten von Präventivschlägen im Dienste der Sicherheit macht. Was für die Touristen Sicherheit gewährleistet, erzeugt für die Bewohner des Reiselandes einen permanenten Ausnahmezustand.
Sicher ist es Unsinn, den einzelnen Touristen für all das verantwortlich zu machen, doch als Massenphänomen sind Touristen keineswegs unschuldig. Sicher führen die islamistischen Radikalen einen widerlichen und wahllosen Krieg gegen alles, was sie mit dem „jüdisch-westlichen Internationalismus“ in Verbindung bringen, doch dass ausgerechnet Touristen im Dschihad als potenzielle Kriegspartei erscheinen, ist letztlich nicht verwunderlich. Anstatt also nach den Anschlägen mehr Sicherheit und damit auch mehr Militär zu fordern, geht es vielmehr darum, sich Gedanken darüber zu machen, wie ein Reisen aussehen könnte, das nicht mit dem Krieg im Bunde ist.
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