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Arme Armee auf dem Prüfstand

Paradigmenwechsel für die Bundeswehr: Statt der Landesverteidigung wird künftig Krisenbewältigung durch „Friedenseinsätze“ ihre Aufgabe sein

„Richtig Geld einsparen“, so Verteidigungsminister Peter Struck, ließe sich erst ab dem Jahr 2008Rudolf Scharping und Harald Kujat haben ein unerfreuliches Erbe hinterlassen

von BETTINA GAUS

Die Pressekonferenz von Verteidigungsminister Peter Struck war seit Tagen mit Spannung erwartet worden, sollte doch die Öffentlichkeit endlich darüber informiert werden, wie die Bundeswehr ihre Haushaltslöcher stopfen will. Dann aber wurde die Veranstaltung sogar noch interessanter, als anzunehmen war: Fast beiläufig warf der SPD-Politiker mal eben die bislang ehernen Grundsätze der deutschen Sicherheitspolitik über Bord. „An erster Stelle steht nicht mehr die Landesverteidigung“, sagte Struck in Berlin. Im Vordergrund der militärischen Aufgaben werde künftig vielmehr die Krisenbewältigung stehen, zum Beispiel durch die Teilnahme an „Friedenseinsätzen“ sowie die „Bekämpfung des Terrorismus.“

Die Nonchalance des Ministers überrascht. Zwar wird ein territorialer Angriff auf das Gebiet der Bundesrepublik schon seit dem Ende des Kalten Krieges als äußerst unwahrscheinlich betrachtet. Nach wie vor aber gilt Artikel 87 a der deutschen Verfassung. „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“, heißt es in dessen erstem Absatz. Der zweite Absatz lautet: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Der Abschied von der Landesverteidigung als oberster Priorität ist somit ein eindeutiger Paradigmenwechsel.

Eine Verfassungsänderung hält der Minister dennoch nicht für erforderlich. Er prägte für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr eine unnachahmliche Formulierung: Es gehe um „Verteidigung weit vor unseren Grenzen“. Zum Beispiel in Afghanistan. Im kommenden Frühjahr will Peter Struck neue verteidigungspolitische Richtlinien bekanntgeben – aber spätestens seit gestern steht fest, wohin die Reise gehen wird. Für die Bundeswehr wird das weit reichende Konsequenzen haben. Angesichts der Ebbe in den Kassen kündigte Struck bei der Materialbeschaffung die Konzentration auf jene Bereiche an, die „für die wahrscheinlichsten Einsätze erforderlich“ sind.

Die größten Auswirkungen dürften die neuen Prioritäten auf das Heer haben. Schon jetzt hat die Bundeswehr ihre Panzerbestände von einst mehr als 3.000 auf rund 1.200 reduziert. Erwartet wird eine weitere Absenkung auf nur noch 500 Kampfpanzer in aktiven Verbänden. Die Soldaten, die in diesem Bereich nicht mehr gebraucht werden, sollen umgeschult werden. Für Militärinterventionen außerhalb des Bündnisgebiets werden andere Fähigkeiten benötigt als zur Landesverteidigung.

Der Umbau einer Armee kostet Geld. Viel Geld. Struck kündigte gestern an, dass altes und zu teures Material künftig so früh wie möglich ausgemustert werde und möglichst multinationale Kooperationslösungen gesucht werden sollten. Aber das wird nicht reichen. Geplante Vorhaben müssen gekürzt oder ganz gestrichen werden, wenn auch nur der laufende Betrieb aufrechterhalten werden soll. Denn Rudolf Scharping und Harald Kujat haben ihren Nachfolgern ein unerfreuliches Erbe hinterlassen.

Beide sind nach Diktat verreist: Der ehemalige Generalinspekteur setzte sich zur Nato nach Brüssel ab, der geschasste Minister wurde auf die Hinterbank des Parlaments verbannt. Ihre Nachfolger dürfen sich jetzt mit einer Finanzplanung herumschlagen, die sich längst als illusionär erwiesen hat. Sie müssen zusehen, was sich von der einst als „Jahrhundertwerk“ angekündigten Bundeswehrreform noch retten lässt.

„Alles“ werde auf den Prüfstand gestellt, hatte der SPD-Politiker kurz nach seinem Amsantritt angekündigt. Das meinte er offenbar ernst. Fest steht nun, dass weniger Transportflugzeuge vom Typ Airbus 400 M angeschafft werden als ursprünglich geplant, nämlich nur 60 und nicht 73. Struck rechnet deshalb mit einer leichten Erhöhung des Stückpreises. Gespart werden soll auch an der Bewaffnung für den Eurofighter. Geprüft wird derzeit noch, wie viele Unterstützungshubschrauber vom Typ Tiger und wie viele Transporthubschrauber NH 90 tatsächlich angeschafft werden sollen und welche Anzahl an Kampfflugzeugen insgesamt für erforderlich gehalten wird. Außerdem soll untersucht werden, ob Schiffe und Boote der Marine rascher als bisher außer Dienst gestellt werden können, „gegebenenfalls auch unter Inkaufnahme zeitlich begrenzter Lücken bei Teilfähigkeiten“.

Wie viel Geld sich damit genau einsparen lässt, wollte – oder konnte – der Minister gestern noch nicht sagen. Als wahrscheinlich aber kann gelten, dass Peter Struck gegenwärtig daran arbeitet, dass sein Nachfolger eines Tages ein leichteres Leben hat. Die meisten Sparmaßnahmen werden nämlich erst in einigen Jahren haushaltswirksam: „Richtig Geld einsparen“, so Struck, ließe sich vom Jahre 2008 an. Die finanziellen Auswirkungen auf den Haushalt 2003 seien hingegen „eher marginal“. Presseberichte, denen zufolge bis zum Jahr 2004 bis zu 6 Milliarden Euro eingespart werden müssen, mochte Struck gestern nicht bestätigen. Er wartet erst einmal neue Sparvorschläge seines Generinspekteurs Wolfgang Schneiderhan ab, der sich vor allem an einem alten Grundsatz orientieren dürfte: Kleinvieh macht auch Mist.

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