Kein trautes Heim

Wohnungslose Frauen brauchen maßgeschneiderte Hilfsprogramme. Das wurde auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“ klar, der weibliche Armut thematisierte. Aber den Einrichtungen fehlt Geld

von ANNE HAEMING

Eine Erkältung verschwindet von alleine, bei Hepatitis und Syphilis wäre ein Arzt nicht schlecht, in manchen Fällen hilft nur der Blaulicht-Weg ins Krankenhaus. Aber was, wenn das Spital nicht behandeln will, was, wenn der Krankenwagen sich weigert zu kommen? Obdachlose sind als Patienten selten willkommen. Wer keinen festen Wohnsitz und keine Krankenversicherung hat, womöglich gar illegal in Deutschland lebt, ist schnell gezwungen, sich anderswo Hilfe zu suchen.

Und findet sie vielleicht beim „Montagstreff“, einer gemeinsamen Außenstelle der Gesundheitsämter von Tempelhof-Schöneberg und Tiergarten-Wedding. Wo Wohnungslosigkeit, Prostitution und Drogenkonsum ineinander übergehen, bietet die sozial-gesundheitliche Beratungsstelle anonyme Hilfe – zielgruppenorientiert. Aber es sind nicht nur Spritzen, Syphilisbehandlung und Schwangerschaftstests gefragt, manchmal reicht auch ein Teller Suppe oder ein offenes Ohr. Es sind überwiegend Frauen, darunter sehr viele minderjährige und Migrantinnen, die das Szene-Angebot in Anspruch nehmen, sagt die Ärztin Ruth Hörnle, eine Mitarbeiterin des Teams.

Sie sind 14, 21 oder 30, vor dem Vergewaltiger-Vater weggerannt oder vor dem prügelnden Freund, Ehemann oder Freier, kommen aus Bottrop, Weißrussland oder Peru. Alle sind Frauen, und alle sind ohne Wohnsitz. Vor allem die Illegalen hangeln sich durch die Subsysteme der Wohnungslosenhilfe, sie haben keinen Anspruch auf öffentliche Unterstützung. Ob legal oder illegal – fast stereotyp findet sich in vielen Biografien sexueller Missbrauch oder Gewalt oder beides. „Der letzte Ausweg ist dann: ‚Ich hau ab‘“, so Dorothea Simon-Zeiske, Sozialarbeiterin beim Berliner Caritas-Projekt FrauenWohnen und Vorstandsmitglied bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG).

Dass vor allem jüngere Frauen obdachlos sind, bestätigt auch Wilfried Kunstmann von der Bundesärztekammer (Köln) mit einer Studie über wohnungslose Frauen. Sie sind mit durchschnittlich unter 30 gut 10 Jahre jünger und von schlechterer gesundheitlicher Verfassung als eine vergleichbare Gruppe Männer. Die problematischste Zahl der Untersuchung: Während wohnungslose Männer ihre Nächte in erster Linie in städtischen Übernachtungsheimen verbringen (rund 38 Prozent), findet die Mehrzahl der Frauen (rund 40 Prozent) bei Freunden oder Bekannten Unterschlupf. Sie tauchen also in keiner öffentlichen Einrichtung auf und somit auch in keiner offiziellen Statistik.

Eine solche geschlechtsspezifische Analyse ist selten – für Berlin hat sich noch keiner die Mühe gemacht. In der Hauptstadt seien 1.300 bis 1.800 Frauen ohne Wohnsitz, so die Schätzung der Senatsgesundheitsverwaltung. Gesicherte Zahlen gibt es nicht. Dabei wäre eine genaue Bedarfsanalyse dringend notwendig, nur dann können entsprechende Angebote geschaffen werden. Noch sind meist obdachlose Männer der Referenzpunkt für Strategiepapiere, die bundesweite Standardstudie ist von 1991.

„Das Thema ist nach wie vor unterbelichtet“, sagt die ehemalige PDS-Bundestagsabgeordnete Petra Bläss. Der politische Handlungsbedarf sei enorm. Man müsse eigentlich beim „Urschlamm“, Geschlechterdiskriminierung in allen Gesellschaftsbereichen, anfangen, Wohnungslosigkeit bei Frauen also präventiv bekämpfen. Aber wo Prävention zu spät kommt, muss man die Symptome behandeln.

Bläss wünscht sich mehr Anlaufstellen speziell für Frauen: „Man muss weg von Massenunterkünften“, so die Politikerin. „Autonome Einrichtungen, abgegrenzte Zimmer werden von den Frauen eher akzeptiert.“ Außerdem sei eine stärkere Vernetzung von Angeboten erforderlich. In Zeiten trockener öffentlicher Kassen muss das wohl bis auf weiteres eine Wunschliste bleiben.

Das ist umso tragischer, als die Erfahrung zeigt, dass Frauen ohne Wohnsitz aus der statistischen Grauzone auftauchen, sobald auf sie zugeschnittene Nischen eingerichtet werden. Der „Montagstreff“ und FrauenWohnen, Evas Haltestelle, die Arztpraxen von MUT, der MiMi-Treff der Stadtmission und die Kältehilfe von St. Jakobi sind nur ein paar Berliner Beispiele erfolgreicher und notwendiger Hilfseinrichtungen. Ihre Entstehungsgeschichten erzählen alle von langjährigem, zähem Kampf der Initiativen. „Jetzt geht es nur noch rückwärts“, meint die Caritas-Sozialarbeiterin Simon-Zeiske. „Die kleineren Projekte werden immer zuerst gestrichen – und das sind die für Frauen.“ Um das finanzielle Fiasko abzuwenden, plädiert sie dafür, auch die Krankenkassen in das Hilfsnetz einzubeziehen.