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Abtreibung im Schützengraben

Die Ausstellung „Mascha + Nina + Katjuscha“ im Museum Karlshorst mahnt ein vergessenes Kapitel in der Geschichte des Zweiten Weltkrieges an: das Schicksal der Rotarmistinnen. Die Schau belebt die Diskussion um das Thema Frauen und Kampf

„Das Schlimmste, was dir nach der Schlacht passieren kann: das Gesicht eines Mannes“

von WALTRAUD SCHWAB

Bis zu eine Million Frauen kämpften zwischen 1941 und 1945 in der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg. Als Panzerfahrerinnen, Pilotinnen, Funkerinnen, Sanitäterinnen, in der Artillerie, an der Front, hinter der Front, im Nachschub. Auch im Kampf „Mann gegen Mann“. Es ist eines jener Kapitel Kriegsgeschichte, dem bis heute wenig Beachtung geschenkt wurde. Seit wenigen Tagen kümmert sich nun das Museum Karlshorst mit der Ausstellung „Mascha + Nina + Katjuscha“ um das Thema.

In wenigen Kapiteln beleuchtet die Ausstellung Propaganda und Alltag der Rotarmistinnen, die in der Öffentlichkeit bis heute stets nur als „Soldaten zweiter Klasse“ behandelt wurden. Für die Nazis waren sie „Flintenweiber“ und „Nachthexen“. Die nationalsozialistischen Agitatoren nutzten die russischen Soldatinnen als Beweis für ihre Rassentheorie. Im Falle der Gefangennahme missachteten sie oft die Genfer Konvention, die auch für weibliche Kriegsgefangene hätte gelten müssen. Nicht wenige der Soldatinnen wurden erschossen. Stalin wiederum überhöhte die Rotarmistinnen für seine Zwecke: Heldinnen, Kämpferinnen – weiblich, aber furchtlos. Der Kriegsalltag dagegen ist durch seine Schrecken zu begreifen. Egal in welcher Funktion, egal an welchem Ort.

Teenager waren die Frauen, als sie in den Kampf zogen. Über Jahre waren sie tagtäglich mit dem Brutalsten konfrontiert, was menschliche Vorstellungskraft sich ausdenken kann. Außer Orden, die sie verliehen bekamen, war Unterstützung bei der Verarbeitung der Kriegstraumata in der Sowjetunion nach 1945 nicht vorgesehen. Stattdessen sprechen viele Soldatinnen gar von Demütigungen, die sie zurück in der Heimat erlebten. Galten sie nach Kriegsende doch vielfach plötzlich als Fronthuren.

Als eine der Ersten ist die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch dem Schicksal der Rotarmistinnen nachgegangen. Unzählige Interviews mit Veteraninnen hat sie gemacht. Erst unter Gorbatschow konnte sie sie veröffentlichen. Zu sehr hätten ihre Erkenntnisse zuvor den sowjetischen Mythos angekratzt. „Das Schlimmste, was dir nach der Schlacht passieren kann: in das Gesicht eines Mannes zu sehen“, habe ihr eine Rotarmistin erzählt, berichtet Alexijewitsch. Mit dem Abstand der Jahre trete nicht mehr die Geschichte der Fakten, sondern jene der Gefühle in den Vordergrund, meint sie.

Frauen beim Militär – ein Thema, das die ganzen Kontroversen, die sich in der Geschlechterdebatte verstecken, offen legt. Durchaus mit aktuellem Bezug. Seit 2001 stehen Frauen in Deutschland alle Laufbahnen in der Bundeswehr offen. Zu schnell wird übersehen, dass das Militär als Institution nicht nur eine Karriereperspektive bietet, sondern dass dahinter Kampf steht sowie das Motto Tucholskys: „Soldaten sind Mörder“. Gilt das für Soldatinnen ebenso?

„Sind Frauen von Natur aus das friedliche Geschlecht? Ist es eine Frage der Gleichberechtigung, Frauen den Zugang zum Militär zu ermöglichen? Verarbeiten Soldatinnen das Geschehen anders als Soldaten? Frau und Kampf, wie geht das zusammen?“ Solche Fragen warf Sonia Mikich, ehemals Russlandkorrespondentin der ARD, bei der Eröffnung der Ausstellung auf. Die Rotarmistinnen hätten der theoretischen Debatte schon lange ein Gesicht geben können, „aber die Geschichtsschreibung hat sie enteignet“, meinte Mikich.

Subtil nähern sich Fotos und Texte in der Ausstellung dem Thema in all seiner Vielfalt zwischen Propaganda, Schützengräben und Kriegsalltag. Militaria finden sich hier keine. Nur zwei kleine Exponate gehen im wortwörtlichen Sinne unter die Haut: Es ist ein in Winkelform geschlagenes Stück Metall, das erkennbar als gynäkologisches Besteck diente, und ein oval gehämmertes kleines Döschen mit einem langen Draht darum, das mit etwas Fantasie wie eine Kürette aussieht, ein Gerät, mit dem man die Gebärmutter ausschaben kann. Abtreibungswerkzeuge an der Front. Die Schmerzen dabei müssen horrend gewesen sein. Auf frauenspezifische Probleme ihrer Kämpferinnen waren die Sowjets nicht vorbereitet.

Noch etwas zeigt die Ausstellung: Wer Widersprüche aushält, ist bereit zur Versöhnung. Eine der porträtierten Frauen im Kapitel „Lebensläufe“ ist Genija Smuschkewitsch. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in ihrer Heimatstadt Kaunas in Litauen 1941 wird die Familie auseinander gerissen. Ihre Eltern und Schwestern werden, da jüdisch, im KZ umgebracht. Die 16-jährige Genija kann fliehen, meldet sich noch im selben Jahr an die Front und ist Sanitätsinstrukteurin eines Maschinengewehrzuges bis zu ihrer schweren Verwundung Ende 1944. „Wir Frauen hatten es besonders schwer, wenn wir als junge Mädchen die Verwundeten auf unseren Schultern trugen und sie im Kugelhagel verbanden. Häufig musste man den Soldaten ersetzen und griff selbst zum Gewehr“, erzählt sie. Nach dem Krieg studierte sie an der technisch-wirtschaftlichen Hochschule und arbeitet als Leiterin der Wirtschaftsverwaltung der staatlichen Kantinen in Vilnus. 1990 aber ist sie nach Deutschland ausgereist und lebt seither in Berlin. „Ich wünsche von ganzem Herzen, dass niemand jemals die Schrecken des Krieges kennen lernen wird“, sagt die 77-Jährige. Sie sagt es mit Demut.

Bis 23. 2. 2003, Di.–So. 10–18 Uhr im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst, Zwieseler Str. 4, www.museum-karlshorst.de

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